Das Haus an der Düne
eher mittelmäßigen Gemüt. Vergrabene Schätze – ja, das muss Ihnen auf Anhieb gefallen.»
«Nun, warum könnte es nicht…»
«Weil, mein Freund, die prosaischen Erklärungen meist näher liegend sind. Dann wäre da noch Mademoiselles Vater – bei ihm sind mir sogar noch albernere Ideen gekommen. Er war Reisender. Ich sagte mir, mal angenommen, er hätte einen Edelstein gestohlen – das Auge einer Gottheit. Eifersüchtige Priester sind ihm auf den Fersen. Ja, ich, Hercule Poirot, habe mich in derartige geistige Niederungen begeben.»
«Ich habe sogar noch mehr Ideen zu der Figur dieses Vaters entwickelt», fuhr er fort. «Etwas seriöser und realistischer. Ist er womöglich im Verlauf seiner Reisen eine zweite Ehe eingegangen? Gibt es vielleicht einen direkteren Erben als Monsieur Charles Vyse? Doch auch diese Vermutungen führen nirgends hin, denn wir haben es wieder mit derselben Schwierigkeit zu tun – es gibt eigentlich nichts Wertvolles zu erben.
Ich habe keine Möglichkeit außer Acht gelassen. Nicht einmal die beiläufige Bemerkung von Mademoiselle Nick über das Angebot von Monsieur Lazarus. Erinnern Sie sich? Das Angebot für das Porträt ihres Großvaters. Ich habe am Samstag telegrafisch einen Experten gebeten, hierher zu kommen und das Bild zu begutachten. Das habe ich Mademoiselle heute Morgen brieflich mitgeteilt. Angenommen, das Gemälde wäre mehrere tausend Pfund wert?»
«Sie glauben doch nicht, ein reicher Mann wie Lazarus junior…»
«Ist er denn wirklich reich? Der Schein kann trügen. Auch eine altehrwürdige Firma mit prächtigen Geschäftsräumen und jedem Anzeichen von Wohlstand kann in Wirklichkeit auf sehr wackligen Füßen stehen. Und was tut man in so einer Lage? Läuft man herum und klagt, wie schlecht die Zeiten sind? Nein, man kauft sich ein neues Luxusauto. Man gibt ein bisschen mehr Geld aus als sonst. Man lebt noch ein bisschen extravaganter. Denn, wie Sie ja wissen, Kreditwürdigkeit ist alles! Aber es hat schon große Unternehmen gegeben, die wegen ein paar tausend Pfund – und zwar in bar – untergegangen sind.
Oh, ich weiß», fuhr er fort, meine Einwände vorwegnehmend. «Es ist weit hergeholt – aber nicht so schlimm wie die rachedurstigen Priester oder der vergrabene Schatz. Es hat jedenfalls einen gewissen Bezug zur Realität. Und wir dürfen nichts außer Acht lassen, nichts, was uns der Wahrheit näher bringen könnte.»
Mit großer Sorgfalt ordnete er die Gegenstände auf dem Tisch. Als er wieder sprach, war seine Stimme ernst und zum ersten Mal wieder ganz ruhig.
«Das Motiv!», sagte er. «Kommen wir darauf zurück und gehen wir dieses Problem systematisch und mit Ruhe an. Welche Motive kommen für einen Mord überhaupt infrage? Wie sehen die Motive aus, die einen Menschen dazu bringen, das Leben eines anderen auszulöschen?
Die Variante des wahnsinnigen Mörders schließen wir erst einmal aus. Denn ich bin absolut überzeugt davon, dass dies nicht die Lösung ist. Ebenfalls ausschließen können wir die Möglichkeit, dass die Tat ungeplant und aus einem unbezähmbaren Temperamentsausbruch erfolgte. Wir haben es hier mit einem kaltblütig geplanten Mord zu tun. Wo liegen also die Motive, die einen solchen Mord auslösen?
Zunächst einmal Habgier. Wem würde Mademoiselle Buckleys Tod nutzen? Direkt oder indirekt? Nun, da können wir Charles Vyse auf die Liste setzen. Er erbt ein Besitztum, das vom finanziellen Gesichtspunkt aus betrachtet nichts wert ist. Er könnte vielleicht die Hypotheken abzahlen, Einfamilienhäuser auf das Grundstück bauen und mit der Zeit einen kleinen Profit erwirtschaften. Das wäre möglich. Der Ort könnte für ihn einen Wert darstellen, wenn er tiefe Gefühle dafür hegte – beispielsweise wenn es der Jahrhunderte alte Sitz seiner Familie wäre. Dieses Gefühl ist bei manchen Menschen zweifellos tief verwurzelt und hat, wie mir aus einigen Fällen bekannt ist, auch tatsächlich zu Verbrechen geführt. In Monsieur Vyse’ Fall fällt es mir allerdings schwer, ein derartiges Motiv zu erkennen.
Die einzige andere Person, die etwas von Miss Buckleys Tod hätte, ist ihre Freundin, Mrs Rice. Die fragliche Summe wäre allerdings ziemlich gering. Soweit ich es beurteilen kann, profitiert sonst niemand von Mademoiselle Buckleys Tod.
Welches Motiv gibt es noch? Hass. Oder Liebe, die zu Hass geworden ist. Das Verbrechen aus Leidenschaft. Nun, da können wir uns auf das Wort der aufmerksamen Mrs Croft stützen, dass sowohl
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