Das Haus an der Düne
wiederholen. Ich hatte eine Art Bannkreis um Mademoiselle gezogen. Und er durchbricht ihn einfach! Tollkühn – direkt vor unseren Augen durchbricht er ihn! Uns allen zum Trotz – obwohl wir alle auf der Hut waren – hat er sein Ziel erreicht.»
«Nur nicht das Richtige», erinnerte ich ihn.
«Das war reiner Zufall. Von meinem Standpunkt aus ist es das Gleiche. Ein Leben ist ausgelöscht worden, Hastings – wessen Leben spielt keine Rolle.»
«Selbstverständlich», stimmte ich zu. «So habe ich das nicht gemeint.»
«Aber andererseits ist auch wahr, was Sie sagen. Und das macht alles nur schlimmer – zehnmal schlimmer. Denn der Mörder ist noch immer genauso weit von seinem Ziel entfernt wie vorher. Verstehen Sie, mein Freund? Die Lage hat sich verändert – zum Schlechteren. Es könnte bedeuten, dass nicht ein, sondern zwei Leben auf dem Spiel stehen.»
«Nicht, solange Sie hier sind», stellte ich energisch fest.
Er blieb stehen und schüttelte meine Hand.
«Merci, mon ami! Merci! Sie setzen noch Vertrauen in das alte Eisen – Sie glauben noch daran. Sie geben mir neuen Mut. Hercule Poirot wird nicht noch einmal versagen. Ein zweites Leben darf nicht geopfert werden. Ich werde meinen Irrtum wieder gutmachen – denn, wissen Sie, irgendwo muss es einen Irrtum gegeben haben! Irgendwo in meiner gewöhnlich so vorbildlich geordneten Gedankenkonstruktion muss ein Fehler gewesen sein. Ich werde nochmals beginnen. Ja, ich werde noch einmal ganz von vorn anfangen. Und dieses Mal – werde ich bestimmt nicht versagen.»
«Dann glauben Sie also», sagte ich, «dass Nick Buckleys Leben noch immer in Gefahr ist?»
«Mein Freund, wieso hätte ich sie sonst wohl in dieses Sanatorium geschickt?»
«Also nicht wegen des Schocks?»
«Der Schock! Pah, von einem Schock kann man sich zuhause genauso gut erholen wie in einem Sanatorium – wenn nicht sogar besser. Dort ist es wenig amüsant – lauter Flure mit grünem Linoleum, die Gespräche der Krankenschwestern, Mahlzeiten auf Tabletts und das ewige Saubermachen. Nein, nein, der einzige Grund dafür ist Nicks Sicherheit und sonst gar nichts. Ich habe den Doktor eingeweiht und er hat zugestimmt. Er kümmert sich um alles. Niemand, mon ami, nicht einmal ihre liebste Freundin, darf Miss Buckley besuchen. Sie und ich werden die Einzigen sein. Für die anderen heißt es – ‹strikte Anordnung des Arztes›, eh bien. Eine sehr nützliche Redensart, die keinen Widerspruch duldet.»
«Ja», sagte ich. «Nur…»
«Nur was, Hastings?»
«Das können wir nicht ewig so machen.»
«Treffend beobachtet. Aber diese Methode gibt uns ein wenig Spielraum. Und es ist Ihnen doch hoffentlich klar, dass sich unsere Vorgehensweise ändern muss.»
«Inwiefern?»
«Unsere ursprüngliche Aufgabe bestand darin, die Sicherheit von Mademoiselle zu gewährleisten. Jetzt ist unsere Aufgabe viel einfacher – eine uns wohl bekannte Aufgabe. Nicht mehr und nicht weniger als einen Mörder zu überführen.»
«Das nennen Sie einfacher?»
«Aber sicher ist es einfacher. Wie ich neulich schon sagte, die Tat trägt die Handschrift des Mörders. Er hat sich aus der Deckung gewagt.»
«Sie glauben doch nicht…» Ich zögerte und fuhr dann fort: «Sie glauben doch nicht, dass die Polizei Recht hat? Dass es sich um die Machenschaften eines Verrückten handelt, eines wild gewordenen Wahnsinnigen, der von der Idee des Tötens besessen ist?»
«Ich bin mehr denn je vom Gegenteil überzeugt.»
«Sie glauben also wirklich…»
Ich hielt inne. Poirot vollendete meinen Satz in sehr ernstem Ton.
«Dass der Mörder jemand aus Mademoiselles engerem Kreis ist? Ja, mon ami, genau das tue ich.» Er unterbrach sich.
«Könnten Sie beschwören, Hastings, dass sich niemand aus unserer kleinen Gruppe vom Rand der Klippe entfernt hat? Könnten Sie beschwören, dass Sie auch nur eine Person die ganze Zeit im Blick hatten?»
«Nein», antwortete ich langsam, betroffen von seinen Worten. «Ich glaube, das könnte ich nicht. Es war dunkel. Wir alle befanden uns mehr oder weniger in Bewegung. Verschiedentlich sah ich Mrs Rice, Lazarus, Sie, Croft, Vyse – aber eine bestimmte Person während der ganzen Zeit – nein, das nicht.»
Poirot nickte.
«Exakt. Es wäre eine Sache von nur wenigen Minuten. Die beiden Mädchen gehen zum Haus. Der Mörder entfernt sich unbemerkt, versteckt sich hinter dem Maulbeerfeigenbaum in der Mitte des Rasens. Nick Buckley oder wen er dafür hält, tritt aus der Verandatür,
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