Das Haus an der Klippe
sie ausstrahlte und die ihren ganzen Körper zu durchdringen schien. Sie war eine Frau, die Heiterkeit in ein Leichenschauhaus bringen konnte, das heißt, sie war ein Mensch, mit dem man gern zusammen war. Diese Eigenschaft, neben ihren herausragenden Computerkenntnissen, hätte ihr Zutritt zu den glänzendsten Kreisen der Hochfinanz verschaffen können, und wieder einmal fragte er sich, wie es kam, daß sie bei einer relativ unbedeutenden Bank wie Nortrust gelandet war, wo sie provinziellen Hohlköpfen wie George Ollershaw schöntun mußte.
Er schob den Gedanken als unwesentlich beiseite und ließ im Schnelldurchlauf seine letzten Begegnungen mit dieser Frau Revue passieren, bis zu dem Gerichtstermin, als er sich ihrer Freilassung gegen Kaution widersetzt hatte. Als die Richterin den Antrag ablehnte, hatte er zur Anklagebank geschaut und ein strahlendes Nicht-so-schlimmm-Lächeln von ihr aufgefangen – wobei er merkte, daß er eine Tut-mir-wirklich-leid-Grimasse gezogen hatte.
Er lächelte bei dieser Erinnerung, und Dalziel fragte: »Na, was ist?«
»Tut mir leid.«
Auf die Frage gab es wohl keine Antwort. Es sah aus, als hätte sich der Dicke übernommen und in einer Weise verrannt, die bei einem Menschen, der Psychologie genauso haßte wie einen leeren Bierkrug, äußerst seltsam wirkte.
Noch ein Versuch, dann würde er dem alten Esel erklären, daß er auf dem Holzweg war.
Er verscheuchte den strahlenden Glanz seines Bildes von Kelly Cornelius und ließ die Sequenz noch einmal vor seinem geistigen Auge vorbeiziehen.
Und dann, wie einer, der, vom Vollmond geblendet, den Blick abwendet und aus dem Augenwinkel etwas erkennt, was schon immer, wenn auch unbeachtet, da gewesen war – einen Stern –, und dann blinzelt und den Himmel ein paarmal absucht, bis er ihn wiederfindet, so sah er jetzt etwas und sah noch mal hin und noch mal und mußte noch ein drittes Mal hinsehen, bis ihm klar wurde, was er da sah.
»Was ist los?« fragte Dalziel.
»Als du gestern bei Gericht warst, hast du doch dort Superintendant Hubbard vom Betrugsdezernat gesehen?«
»Ja«, entgegnete Dalziel, erheitert bei dieser Erinnerung, »gesehen und gesprochen.«
»Und hatte er einen Begleiter?«
»Ja.«
»Wie sah der denn aus?«
»Untersetzt. Dunkle, schüttere Haare, Mund wie ein rostiges Scharnier, nur mit einem Brecheisen zu öffnen. Grauer Anzug, teures Kammgarn, aber die Taschen ausgebeult wie ein Wilddieb.«
»Also nicht in den Dreißigern, helle Haare, gewinnendes Lächeln, Glencheck-Anzug und teure dunkle Mokassins?«
»Nein, es sei denn, er hatte einen häßlichen Unfall, seit du ihn zuletzt gesehen hast … he, wart mal!« Der Dicke wühlte in den Papieren auf seinem Tisch. »Das ist doch Ellies Beschreibung von dem Kerl, der sie entführen wollte! Heißt das etwa …?«
»Das letzte Mal, als ich bei Gericht war, trat sie auf den Mann zu, der neben Hubbard saß«, sagte Pascoe. »Und draußen habe ich gesehen, wie sie in einen BMW eingestiegen sind. Scheiße! Du hast recht, Andy. Ich habe da wohl unterschwellig einen Zusammenhang hergestellt. Aber ich wollte nicht nur den Musterschüler spielen, als ich nach Gründen suchte, um auf dem Fall Cornelius herumzuhacken. Und sogar jetzt, wo ich glaube, daß du vielleicht recht hast, kann ich mir in Dreiteufelsnamen keinen Reim drauf machen.«
»Nur ein Zufall, meinst du?«
»Warum nicht? So was kommt vor. Es sei denn, du weißt mehr als wir«, sagte Pascoe.
»An dem Tag, an dem das nicht der Fall ist, hänge ich meinen Job an den Nagel«, erklärte der Dicke. »Wie spät?«
»Viertel vor eins«, sagte Wield.
»Kelly Cornelius hätte sich schon melden müssen. Hat sie aber nicht und wird sie auch nicht«, meinte Dalziel.
»Ach? Woher weißt du das so genau?«
»Sie ist gestern entwischt. Sie hat ihren Aufpasser abgehängt.«
»Ihren Aufpasser?« sagte Pascoe. »Du hast sie beobachten lassen?«
»Nicht ich.«
»Das Betrugsdezernat?«
Dalziel schüttelte schwerfällig den großen, grauhaarigen Schädel.
»Wer dann?«
»Du erinnerst dich doch, daß du mich vor ein paar Jahren in Heathrow abgeholt hast und wir schließlich in einem Nobelrestaurant gelandet sind, wo wir uns mit einem langen, dünnen und öligen Typen namens Sempernel ziemlich alten Whisky gegönnt haben? Nun, der hat mir gestern abend einen Besuch abgestattet.«
Ungläubig fragte Pascoe: »Ich dachte, der ist beim Geheimdienst?«
»Da würde er nicht nein sagen.«
»Du willst also behaupten,
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