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Das Haus an der Klippe

Das Haus an der Klippe

Titel: Das Haus an der Klippe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reginald Hill
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Mündung auf Ellie.
    »Helft mir …«, schluchzte sie. »Hilfe … er ist durchgedreht … bitte … bitte … helft uns … oder er bringt alle um …«
    Jorge sah für einen Augenblick so aus, als hielte er das für keine schlechte Idee. Dann fing er an, in einem solchen Tempo spanisch zu reden, daß sie nicht mehr als ein paar Pronomen verstand, ging auf sie zu und stieß sie mit seiner Waffe. Unterdessen stellte Ajax Kelly auf die Füße. Erleichtert stellte Ellie fest, daß Kelly noch die Kraft besaß, ein paar unsichere Schritte zu machen, bis Jorge sie umdrehte und in Richtung Treppe schubste.
    So weit, so gut, sagte sich Ellie. Aber die Feuerprobe stand noch bevor. Daphne hatte wahrscheinlich recht, wie Gott oder der Teufel es wollte, es würde etwas schiefgehen – Wendy schoß womöglich daneben, Feenie konnte vielleicht mit Jorge nicht so leicht fertigwerden, wie sie meinte – und als einzige Unverletzte (mit Mrs. Stonelady konnte man nicht rechnen, und von Daphne war kaum zu erwarten, daß sie den kleinen Ajax abschütteln und sich am Kampf beteiligen würde) mußte Ellie sich darauf gefaßt machen einzugreifen, wo immer es erforderlich war.
    Was aber passieren würde, wenn sich Gott und der Teufel zusammentaten und
alles
schiefging, wollte sie sich lieber nicht vorstellen.
    Jetzt waren sie oben. Jorge stieß sie in den Panoramasaal, und der Vorhang ging hoch.
    Es sieht gut aus, dachte sie, nicht ganz frei von Stolz. Es sah sogar genauso aus, wie sie es sich vorgestellt hatte, ein Katastrophenszenario – die zerrissene Kokstüte mit der Pulverspur auf dem Fußboden – Wendy neben Novello an der Wand kauernd, das verletzte Bein zur Schau stellend – Mrs. Stonelady, reglos und harmlos wie ein Gartenzwerg – und Feenie, die ungefähr zweihundert Jahre alt wirkte und sich in hilflosem Protest über Daphne beugte, die – welch eine Schauspielerin! – kreischend und um sich schlagend unter dem Leib des kleinen Ajax lag und ihn in einem vorgetäuschten Akt wildester Unzucht herumschleuderte, zu dem er, wie Ellie vermutete, zu Lebzeiten gar nicht in der Lage gewesen wäre.
    Und auch Jorge reagierte wie im Drehbuch vorgesehen. Mit einem lauten Wutschrei stieß er Ellie beiseite, rannte zu dem Paar auf dem Boden und begann mit seiner Waffe auf den Kopf des kleinen Ajax einzuschlagen.
    Ellie trat in die Mitte des Raums, damit Wendy ungehindert schießen konnte. Aber als sie zu ihr hinüberschaute, sah sie keine Waffe, sondern nur Wendys entsetztes Gesicht. Ein Blick über die Schulter verriet ihr den Grund. Der große Ajax stand wie ein routinierter Schauspieler genau auf dem ihm zugedachten Platz, aber er hatte die Arme um Kelly geschlungen und genoß offensichtlich die Chance, sie zu begrapschen. Wenn Wendy so gut war, wie sie behauptete, dachte Ellie, dann hatte sie doch gewiß keine Schwierigkeiten, ihm eine Kugel in seinen massigen Schädel zu jagen. Gleichzeitig sah sie ein, daß die Vorstellung, das Ziel zu verfehlen und die Person, die sie retten wollten, zu durchlöchern, auch einer Meisterschützin gelinde Selbstzweifel einflößen mochte.
    Aber es hieß jetzt oder nie. Trotz seiner Wut würde Jorge demnächst kapieren, daß selbst ein sexuell enthemmter Ajax irgendwie darauf reagieren mußte, wenn ihm jemand seinen Schädel zu Brei schlug.
    Ellie warf Wendy einen wütenden Blick zu und zischte: »Tu’s!«
    Vorsichtig zog Wendy die Waffe hinter der ausgestreckten Novello hervor.
    In diesem Augenblick ertönte, wie ein Trompetenstoß, der die Ankunft eines neuen Wettkämpfers auf dem Turnierplatz ankündigt, eine Hupe, sie schrillte lange und laut, und durch das Fenster des Vorraums drang Licht herein.
    Das waren Hupe und Scheinwerfer des Lastwagens. Luis und Popeye waren wieder da. Nun sah es schlecht für sie aus.
    Der Augenblick, in dem sie es noch hätten tun können, ging vorüber. Wenn Wendy den großen Ajax niedergeschossen hätte … wenn Feenie Jorge angegriffen hätte … aber beide erstarrten, jede wartete auf die andere. Dann ertönte wieder die Hupe, der große Ajax, die Arme nach wie vor um Kelly geschlungen, zog sich in den Vorraum zurück, und der Augenblick war verstrichen.
    Die einzige, die sich bewährte, war Daphne, die natürlich der Star in ihrer kleinen Theatergruppe sein mußte, dachte Ellie.
    Als sie merkte, daß Jorge mit vermindertem Elan auf den Kopf des kleinen Ajax eindrosch und sein Gesicht eher Verwirrung als Zorn spiegelte, tat sie einen letzten

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