Das Haus an der Klippe
ihrem Leben in Sicherheit waren, hieß das nicht, daß sie das Recht hatte zu tun, was ihr paßte, und sei es nur auf den Seiten ihrer Romane. Wer sich bindet, übernimmt Verantwortung, das galt nicht nur für Männer. Und es war ihr ein geringer Trost, daß Novello, das kluge Kind, recht behalten hatte und dies ihr eigenes Abenteuer war, das nichts mit Peters Job zu tun hatte, und sie selbst, die kleine Ellie, den ganzen Ärger heraufbeschworen hatte.
Trotzdem wußte sie nicht, was sie anders hätte machen sollen.
Sie sah, daß Jorge Popeye überrascht musterte. Hatte er etwa nicht damit gerechnet, ihn wiederzusehen? Wenn Popeye das auch kapiert hatte … sie klammerte sich an einen Strohhalm.
Jorge machte eine wegwerfende Handbewegung und wandte sich wieder dem großen Ajax zu, der immer noch redete.
Als er schließlich verstummte, hob Jorge langsam seine Waffe, ging auf Feenie zu und hielt ihr die Pistole an den Kopf.
»Luis, komm rein«, rief er. »Nun, meine Damen, diejenige, die die Pistole hat, liefert sie innerhalb von drei Sekunden ab, oder ihr werdet sterben, die Älteste zuerst.
Uno … dos …
«
»In Gottes Namen!« schrie Daphne Wendy Woolley an. »Geben Sie ihm die Pistole, oder erschießen Sie den Mistkerl!«
Und im selben Augenblick kam Luis herein.
Oder vielmehr der Mann mit Luis’ Baseballkappe kam herein.
Sein Aussehen versetzte Ellie einen Schock.
Unter dem Schirm der Mütze erblickte sie ein hageres, hohlwangiges Gesicht mit einem dünnen Schnurrbart. Dieses Gesicht hatte sie schon einmal gesehen, aber nicht das schockierte sie.
Nackt bis zur Taille, da er mit seiner Oberbekleidung Kelly versorgt hatte, stellte er seinen abgemagerten, ja ausgezehrten Körper zur Schau, der rechts auf dem Brustkorb eine lange, halbverheilte Wunde zeigte.
Außerdem hatte er Brüste.
Keine großen, kaum üppiger als zwei kleine Äpfel, aber eindeutig Brüste.
Mein Gott, es ist die heilige Uncumber, die uns zu Hilfe eilt! dachte Ellie.
Und als wäre das tatsächlich ihre Absicht, stürzte sich die Fremde mit einem animalischen Wutschrei auf Jorge.
Sie hatte eine Waffe in der Hand. Vielleicht blockierte sie. Oder vielleicht war ihr Zorn dergestalt, daß er sich nur durch direkten körperlichen Kontakt Luft verschaffen konnte. Wenn das zutraf, dann hätte sie teuer dafür bezahlt, hätte nicht Feenie den Augenblick genutzt, als Jorge abgelenkt war, seine Hand gepackt und den kleinen Finger umgebogen, bis er mit einem Knacken wie ein trockener Zweig brach.
Jorge brüllte, seine Pistole fiel zu Boden, und dann stürzte sich der Racheengel auf ihn und drängte ihn bis zum Fenster zurück, hinter dem der Sturm toste und brauste, als empöre es ihn, daß er von dem tödlichen Kampf, der drinnen tobte, ausgeschlossen war.
Im selben Augenblick hatte Popeye eine Pistole gezogen und eröffnete das Feuer auf den großen Ajax.
Anscheinend war der Ire mit der Waffe nicht vertraut, ja es schien, als würde er mit geschlossenen Augen schießen. Aber ein so zyklopisches Ziel zu verfehlen war schwer, und offenbar traf fast jeder Schuß, denn bald breitete sich auf der Brust des großen Ajax ringförmig Blut aus.
Aber er stand immer noch, kein Anzeichen von Schmerz, wie jener Baldur, Sohn des Odin, dessen Mutter Frigga allen Dingen, ob aus Stein, Metall oder Holz, das Versprechen abverlangt hatte, ihren Sohn nie zu verletzen, mit Ausnahme der Mistel, die ihn schließlich tötete.
Er hatte jedoch gewisse Schwierigkeiten, selbst einen Schuß abzufeuern. Jedesmal, wenn er mit seiner gewaltigen Pranke die Waffe heben wollte, schoß Popeye auf ihn, und der Lauf blieb wirkungslos nach unten gerichtet. Dann verstummte die Pistole des Iren.
All das spielte sich innerhalb von Sekunden ab, aber Ellie hatte den Eindruck, daß es sich hinzog wie der Showdown in diesen Italo-Western, die Peter so gern im Fernsehen anschaute.
Und jetzt, als Popeye in seinen Taschen verzweifelt nach Munition suchte, konnte der große Ajax endlich seine Waffe heben, der zitternde Lauf zielte, und sein Finger würde gleich abdrücken.
Lauthals brüllend und ohne einen bewußten Gedanken stürmte Ellie vorwärts, griff unterwegs nach dem zersplitternden Bein des Stuhls, den der kleine Ajax ruiniert hatte, und stieß ihn in die blutige Brust des Killers.
Anscheinend war das der Mistelzweig. Der große Ajax stürzte bei der bloßen Berührung rückwärts zu Boden und blieb reglos liegen.
Sie stand über ihm, entsetzt und triumphierend
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