Das Haus auf den Klippen
werde ein Platz frei. »Bitte, reservieren Sie ihn für
meine Frau«, hatte er unglücklich zu ihnen gesagt.
»Was für nette Kinder«, sagte Phoebe. »Wie heißen sie
denn?«
»Richard und Joan.«
»Sind sie schon ganz erwachsen?«
»Ja. Richard ist dreiundvierzig. Er lebt in Seattle mit seiner
Frau und seinen Jungs. Joan ist einundvierzig, und sie lebt in
Maine mit ihrem Mann und ihrer Tochter. Du hast drei Enkelkinder, mein Liebes.«
»Ich will keine Bilder mehr anschaun. Ich hab Hunger.«
Eine der Folgen der Krankheit war, daß ihr Gehirn falsche Signale aussandte. »Du hast erst vor ein paar Minuten gefrühstückt, Phoebe.«
»Nein, stimmt gar nicht.« Ihr Tonfall wurde eigensinnig.
»Also schön. Dann gehen wir rein und machen dir was.« Als sie
aufstanden, legte er den Arm um sie. Er war immer stolz auf ihren
großen, eleganten Körper gewesen, ihre Art, den Kopf zu halten,
die Anmut und Wärme, die von ihr ausgingen. Ich wünschte, wir
hätten nur noch einen einzigen Tag so wie früher, dachte er.
Als Phoebe voller Heißhunger ein Brötchen verzehrte und
Milch hinunterschluckte, sagte er ihr, daß sie Besuch erwarteten.
»Ein Mann, der Nat Coogan heißt. Was Geschäftliches.« Es war
sinnlos, Phoebe erklären zu wollen, daß Coogan ein Kriminalbeamter war, der vorhatte, mit ihm über Vivian Carpenter Covey
zu reden.
Als Nat an Vivian Carpenters Haus vorbeifuhr, musterte er es
genau. Es war typisch für das Cape: ein Haus, das im Lauf der
Jahre ständig Anbauten und Erweiterungen erfahren hatte, so
daß es sich jetzt auf angenehme Weise über das Grundstück
erstreckte. Umgeben von blauen und lilafarbenen Hortensien,
mit üppigem Springkraut in den Fensterkästen, war es ein bildschöner Wohnsitz, obwohl Nat bewußt war, daß die einzelnen
Zimmer höchstwahrscheinlich ziemlich klein waren. Laut Elaine
Atkins, der Immobilienmaklerin, hatten Vivian und Scott Covey
nach einem größeren Heim Ausschau gehalten, weil sie bald
Kinder haben wollten.
Für wieviel war das Anwesen wohl zu haben? überlegte Nat.
Am Oyster Pond gelegen, etwa ein Morgen Land? Eine halbe Million? Da Vivians Testament alles ihrem Mann übereignete, war
dies ein weiteres Vermögensstück, das Scott Covey geerbt hatte.
Das Haus der Spragues kam als nächstes, ebenfalls ein sehr
einladendes Gebäude. Es war ein echtes saltbox – ein vorne
zwei-, hinten einstöckiges Haus mit steilem Giebeldach – vermutlich aus dem späten achtzehnten Jahrhundert. Nat hatte die
Spragues nie kennengelernt, aber die Artikel, die Professor
Phoebe Sprague für die Cape Cod Times schrieb, stets gern gelesen. Sie hatten alle mit Legenden aus der frühen Zeit auf dem
Cape zu tun. Er hatte allerdings in den letzten Jahren keine neuen mehr gesehen.
Als Henry Sprague die Tür aufmachte, ihn hereinbat und seiner Frau vorstellte, begriff Nat sofort, weshalb Phoebe Sprague
keine Artikel mehr verfaßte. Die Alzheimersche Krankheit,
dachte er und bemerkte voller Mitgefühl die Zeichen der Erschöpfung, die sich um Henry Spragues Mund eingegraben hatten, den verhaltenen Schmerz in seinen Augen.
Er lehnte das Angebot einer Tasse Kaffee ab. »Ich bleibe
nicht lange. Nur ein paar Fragen, Sir. Wie gut kannten Sie Vivian Carpenter Covey?«
Henry Sprague wollte freundlich sein. Als zutiefst ehrlicher
Mensch wollte er aber auch nichts bemänteln. »Wie Sie vermutlich wissen, kaufte Vivian das Haus vor drei Jahren. Wir haben
uns mit ihr bekannt gemacht. Sie sehen ja, daß es meiner Frau
nicht gutgeht. Ihr Problem fing damals gerade an, deutlich in
Erscheinung zu treten. Leider machte Vivian es sich zur Gewohnheit, ständig bei uns vorbeizuschauen. Sie besuchte damals
einen Kochkurs und brachte ständig Proben von dem Essen rüber, das sie zubereitet hatte. Es ging schließlich so weit, daß
meine Frau sehr nervös wurde. Vivian meinte es gut, aber ich
mußte sie dann doch bitten, mit den Besuchen aufzuhören, es sei
denn, daß wir uns ausdrücklich mit ihr treffen wollten.«
Er schwieg und fügte dann hinzu: »Emotional hatte Vivian einen ungeheuren Nachholbedarf.«
Nat nickte. Es paßte zu dem, was er von anderen Leuten gehört hatte. »Wie gut kennen Sie Scott Covey?«
»Ich hab ihn natürlich kennengelernt. Er und die arme Vivian
haben ganz in der Stille geheiratet, aber sie gab doch bei sich zu
Hause einen Empfang, zu dem wir auch hin sind. Das war Anfang Mai. Ihre Verwandten waren da und auch eine Reihe
Freunde und weitere
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