Das Haus auf den Klippen
Vergangenheit aufzuspüren.
Ihm fiel ein, daß er seit fünf Jahren nicht mehr mit seinem Vater und seiner Stiefmutter geredet hatte. Da kann ich nichts dafür, dachte er. Sie sind nach San Mateo umgezogen; sie hat ihre
ganze Familie dort bei sich, und wenn ich hinfahre, habe ich
keinen Platz zum Übernachten. Aber es könnte zu Fragen kommen, weshalb seine Verwandten weder zu dem Hochzeitsempfang noch zu der Beerdigung gekommen waren.
Es war wieder einmal ein wunderschöner Augusttag in einer
ununterbrochenen Folge sonniger Tage mit geringer Luftfeuchtigkeit. Der Horizont war übersät mit Booten jeder Größe von
Dingis bis zu Jachten.
Vivian hatte sich ein Segelboot gewünscht. »Ich hab das hier
bloß gekauft, damit ich lerne, selbst mit einem Boot umzugehen«, hatte sie erklärt. »Deshalb hab ich’s auch Viv’s Joy getauft.«
Jetzt, da er auf dem Boot schaukelte, das mit diesem Namen
an der Seite bemalt war, fühlte er sich bedrückt. Als er in der
Früh am Dock entlanggegangen war, hatte Scott mehrere Männer gesehen, die sich das Boot anschauten und miteinander redeten. Zweifellos ging es dabei um den Unfall.
Sobald diese Sache ausgestanden war, würde er den Namen
ändern. Nein. Besser noch: Er würde das Boot verkaufen.
Ein starker Ruck an seiner Angel brachte ihn in die Gegenwart zurück. Er hatte einen dicken Fang am Haken.
Zwanzig Minuten später schlug ein Streifenbarrel von fast
dreißig Pfund wie wild auf Deck um sich.
Während ihm der Schweiß über die Stirn rann, beobachtete
Scott den Todeskampf des Tiers. Dann stieg Ekel in ihm auf. Er
durchschnitt die Angelschnur, schaffte es, den zappelnden Fisch
in den Griff zu bekommen, und warf ihn ins Meer zurück. Heute
war ihm das Angeln zuwider, stellte er fest und machte sich auf
den Heimweg.
Spontan kehrte Scott bei Clancy’s in Dennisport zum Lunch
ein. Das Lokal war immer gut besucht, das Publikum gemischt
und lebhaft, und er hatte das Bedürfnis nach der Gesellschaft
vieler Menschen. Er setzte sich an die Bar und bestellte ein Bier
und einen Hamburger. Mehrmals fiel ihm auf, wie Leute in seine Richtung schauten.
Als die Barhocker neben ihm nicht mehr besetzt waren, griffen zwei attraktive junge Frauen danach. Sie verwickelten ihn
schnell in eine Unterhaltung, indem sie ihm erzählten, sie seien
zum erstenmal auf Cape Cod zu Besuch, und ihn fragten, ob er
ihnen Lokale nennen könne, wo man sich gut amüsieren würde.
Scott aß den Rest seines Hamburgers auf. »Das hier ist schon
eines der besten«, entgegnete er freundlich und machte ein Zeichen für die Rechnung. Das fehlt mir gerade noch, dachte er.
Bei meinem Glück kommt bestimmt Sprague vorbei und sieht,
wie ich mit den Mädchen rede.
Heute abend konnte er sich wenigstens entspannen. Elaine
Atkins und ihr Freund hatten ihn zum Abendessen im Captain’s
Table in Hyannis eingeladen. Sie brachten auch Menley Nichols
mit; sie war wirklich entgegenkommend zu ihm gewesen.
Auf dem Heimweg hielt er noch an, um eine Zeitung zu besorgen. Er warf sie auf den Nebensitz und schlug sie erst auf, als
er wieder zu Hause war. Zu diesem Zeitpunkt also sah er die
Schlagzeile auf der ersten Seite: FAMILIE CARPENTER
VERLANGT AUFKLÄRUNG.
»O Himmel noch mal«, murmelte er und stürzte zum Telefon.
Er versuchte Adam Nichols zu erreichen, erhielt aber keine
Antwort.
Eine Stunde später läutete es an der Haustür. Er ging zur Tür
und machte auf. Ein halbes Dutzend Männer mit grimmigen
Mienen standen ihm gegenüber. Scott erkannte nur einen von
ihnen, den Kriminalbeamten aus Chatham, der ihn schon einmal
vernommen hatte.
Wie betäubt sah er, daß ihm jemand ein Stück Papier vor die
Nase hielt, und hörte dann die erschreckenden Worte: »Wir haben einen Haussuchungsbefehl für dieses Anwesen.«
42
U
m Viertel vor zwei kam Menley vom Flughafen zurück, wo
sie Adam abgesetzt hatte. Das Telefon läutete, als sie gerade die Tür aufmachte, und noch mit Hannah in einem Arm rannte sie zum Apparat.
Es war ihre Mutter, die aus Irland anrief. Nach der fröhlichen
Begrüßung merkte Menley, wie sie ihre Mutter davon zu überzeugen versuchte, daß alles in Ordnung sei. »Was meinst du
damit, du hast ein Gefühl, irgendwas stimmt nicht, Mom? Das
ist doch verrückt. Dem Baby geht’s blendend… Wir haben eine
wunderschöne Zeit… Das Haus, das wir gemietet haben, ist
phantastisch… Wir überlegen uns sogar, ob wir’s kaufen sollen… Das Wetter ist herrlich… Erzähl mir doch was über
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