Das Haus auf den Klippen
Nichols hatte ihn ermahnt, alles beim alten zu lassen,
bis sämtliche Dinge im Zusammenhang mit Vivs Tod und ihrem
Testament geregelt waren, aber Scott war klar, daß er das Haus
allmählich haßte und ebenso Cape Cod. Er wußte, daß es für ihn
stets bedeuten würde, wie in einem Goldfischglas zu leben.
Im vergangenen Winter hatte er im Büro eines um seine Existenz kämpfenden Theaters in Boca Raton, Florida, gearbeitet.
Dort hatte es ihm gefallen, weshalb er sich auch dort ein Haus
kaufen wollte, wenn das hier alles vorbei war. Vielleicht würde er
sich sogar finanziell an dem Theater beteiligen, anstatt hier ein
neues zu gründen, wie er es eigentlich mit Viv vorgehabt hatte.
Denk voraus, trieb er sich an. Sie haben nichts in der Hand,
was sie mir anhängen können, nichts Stichhaltiges außer Argwohn und Eifersucht und schmutziger Phantasie. Da gibt es
nichts, was vor Gericht standhalten würde.
»Die Bude hier ist sauber«, wandte sich ein Ermittlungsbeamter
vom Büro des Bezirksstaatsanwalts an Nat Coogan.
»Sie ist zu sauber«, erwiderte Nat barsch, während er fortfuhr,
den Schreibtisch zu durchsuchen. Soweit sie überhaupt Privatpost gefunden hatten, so war sie an Vivian adressiert – Briefe
von Freunden mit Glückwünschen zur Hochzeit; Postkarten von
Verwandten auf Europareise.
Ein kleiner, ordentlicher Stapel Rechnungen war vorhanden,
sämtlich mit dem Vermerk »bezahlt« versehen. Keine Hypothek;
keine Ratenzahlungen an Kreditkartengesellschaften; keine Automobilfinanzierung: Das vereinfacht die Dinge wahrlich, überlegte Nat. Außerdem bleibt man beweglich, ohne Klotz am Bein.
Die Telefonrechnung war nicht sehr hoch. Er hatte Tinas Telefonnummer im Kopf, aber es gab in den drei Monaten der Ehe
keinen einzigen Anruf dorthin.
Er hatte auch die Telefonnummer von Vivians Anwalt. Auch
sie war in den letzten drei Monaten nicht auf den Ferngesprächsabrechnungen aufgeführt.
Die Bankbelege waren nicht ganz uninteressant. Vivian unterhielt ein einziges Konto in der Bank am Ort, und zwar nur
unter ihrem Namen. Falls Covey über eigenes Geld verfügte,
ließ er es nicht in der hiesigen Gegend verwalten. Falls er, was
Bargeld anging, von ihr abhängig gewesen war, so hatte sie ihm
nur kleine Mengen zugeteilt. Selbstredend konnte ein guter Anwalt geltend machen, daß der Mangel an Bankunterlagen im
Haus Coveys Geschichte erhärtete, daß seine Frau ihm nicht die
wahre Höhe ihres Vermögens offenbart hatte.
Die Carpenters hatten Nat mitgeteilt, im Haus seien keinerlei
Bilder von Vivian zu finden. Nat entdeckte sie im Gästezimmer.
Covey hatte auch eine Schachtel hergerichtet, die an die Familie
zurückgehen sollte. Er hatte keine Fotos beigefügt, auf denen er
selbst mit Vivian zu sehen war. Nat gestand sich widerwillig
ein, daß dies immerhin für eine gewisse Sensibilität sprach.
Andererseits waren die Bilder mit Covey und Vivian zusammen auf dem Boden eines Vorratsschranks aufgehäuft. Nicht
gerade der Platz, wo man etwas, was einem lieb und teuer ist,
aufhebt, dachte er.
Vivians Kleider waren ordentlich in ihre teuren Reisetaschen
und Koffer gepackt. Wer war wohl als Empfänger ausersehen?
fragte er sich. Nicht Tina. Sie war dafür zu kräftig gebaut. Nat
vermutete stark, daß Kleidung wie Reiseutensilien für einen
Secondhandladen bestimmt waren.
Er hatte nicht ernsthaft erwartet, daß sie auf den Smaragdring
stoßen würden. Falls Covey ihn hatte, wäre er nicht so dumm,
ihn dort aufzubewahren, wo man ihn finden konnte. Vivian war
anscheinend nicht besonders auf Schmuck aus. Sie hatten ihren
Verlobungsring, ein paar Halsketten und Armreife und Ohrringe
gefunden, alles in einer kleinen Schmuckschatulle im großen
Schlafzimmer. Nichts davon, inklusive des Verlobungsrings,
war von speziellem Wert.
Nat beschloß, sich selbst die Garage genauer anzusehen.
An das Haus angebaut, war es ein Gebäude von beträchtlicher Größe, das zwei Wagen Platz bot. Auf Regalbrettern
hinten waren Tauchausrüstung und Angelzeug, eine Kühlbox, einige Werkzeuge ordentlich verstaut – das übliche
Drum und Dran. Die Tauchausrüstung, die Vivian trug, als
ihre Leiche an Land geschwemmt wurde, war noch zur Untersuchung im Labor.
Covey und Vivian besaßen nur ein Auto, einen BMW neueren
Datums. Nat wußte, daß er Vivian gehörte. Je mehr er an diesem
Nachmittag zu sehen bekam, um so mehr mußte er an das Entsetzen seiner Mutter denken, als ihre ältere Schwester vor vielen
Jahren
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