Das Haus der blauen Schmetterlinge - Roman
kontinuierlich zu. Paulette, Lucas und Lucille waren wegen der Besetzung Frankreichs durch die Deutschen aufgewühlt, und vor allem Paulette machte von einer schier unendlichen Fülle an Kraftausdrücken Gebrauch. Zwar hatte die Französin schon vor vielen Jahren die Brücken in ihr Geburtsland hinter sich abgebrochen und bezeichnete sich ebenso wie Elsa als » Bürgerin von Matupia « . Die Ungewissheit, was aus ihren Eltern und Geschwistern geworden war, nagte dennoch an ihr. Zudem wurde das geschäftliche Umfeld rauer und schwieriger. Wegen des europäischen Krieges brach das Handelsvolumen ein. Die einzigen Plantagen, die noch Gewinn erwirtschafteten, waren jene, die Kautschuk produzierten, das für die Bereifung von Militärfahrzeugen und Flugzeugen für die Armee benötigt wurde. So sehr Paulette sich auch anstrengte, das Familienvermögen wuchs nicht mehr, es schrumpfte sogar, wenngleich von einem so hohen Niveau aus, dass keine ernstzunehmende Gefahr bestand. Für Paulette war dennoch jedes Minus unerträglich.
Was ihre beiden Kinder anging, so waren sie weder mit ihrem Heimatland, das sie nie betreten hatten, noch mit dem Handelsgeschäft eng verbunden. Allerdings hatten sie vorgehabt, an die Pariser Sorbonne zu gehen. Lucille wollte Rechtswissenschaften studieren, um die erste weibliche Anwältin der Südsee zu werden, und Lucas interessierte sich für Literatur und Philosophie. Sein Vorbild war ein gewisser Jean-Paul Sartre, und er wollte eines Tages Bücher und Stücke schreiben. Aufgrund der deutschen Besatzung rückte das Studium in Frankreich jedoch in weite Ferne.
Im Juni 1941 erreichte die Stimmung einen neuen Tiefpunkt, als sich mit dem deutschen Ãberfall auf die Sowjetunion jede Hoffnung auf einen baldigen Frieden zerschlug. Reisende aus Europa kamen kaum noch nach Port Rabaul, und am » Tor zum Pazifik « kehrte wieder Stille ein.
Elsa schob das Gespräch mit Iolana mehrfach auf. Sie wollte nicht, dass Paulette oder irgendjemand sonst dabei war. Zudem lieà sich Iolana immer seltener im Haus der blauen Schmetterlinge blicken. Nicht zuletzt war vorauszusehen, dass das Gespräch kein angenehmes würde. Waren das gute Gründe für einen Aufschub oder nur Beruhigungspillen für Elsas Gewissen? Wenn sie es wirklich gewollt hätte, hätte sie ziemlich schnell ein intimes Gespräch mit ihrer Freundin in die Wege leiten können. Die Frage war nur, ob diese höchst private Unterredung die Lage verbessern würde â oder gar verschlechtern? Und wie Elsa überhaupt zu diesem Gespräch stand.
Eines Nachmittags ergab sich die beste aller Möglichkeiten. Zufällig begegneten die Freundinnen sich bei einem Spaziergang am Rand der Lavafelder. Aus verschiedenen Richtungen kommend, trafen sie an einer markanten Stelle aufeinander. Auf der einen Seite des Weges wucherte üppiges Grün, durchsetzt mit blühenden Büschen in allen Farben des Spektrums. Dazu die Geräusche des Waldes, das Vogelkonzert, das pralle Leben. Auf der anderen Seite das fahle Grau alter, erstarrter Lava sowie Totenstille. Vereinzelt schwarze Vögel, die schwarze Käfer aufpickten. Ein paar Steinwürfe entfernt begann der Anstieg auf einen mächtigen Vulkan, dessen Hänge hier und da ein groÃer Gesteinsbrocken herabrollte, ein eher zarter Hinweis auf die tödliche Macht des Feuerberges.
Als die beiden Frauen sich zur BegrüÃung umarmten und küssten, spürte Elsa, dass Iolana gerade viele Dinge im Kopf herumgingen und ihr Herz schwer war, auch wenn sie es zu verbergen versuchte.
» Wie seltsam, dass wir uns ausgerechnet an diesem Ort treffen « , sagte Elsa. » Bist du oft hier? «
» Ja, sehr oft sogar. Dieser Weg hat etwas Magisches. « Sie blickte abwechselnd auf die Lavawüste und in den Buschwald, und als ein mit Brandgeruch gemischter Windstoà vom Vulkan herunterfegte, verdeckten ihre Haare einen Moment lang ihr Gesicht, bevor sie sich die Strähnen hinter die Ohren strich.
Wieder einmal bewunderte Elsa die Schönheit ihrer Freundin, die so selbstverständlich mit einer unterschwelligen Melancholie einherging.
» Wir sehen uns viel zu selten « , sagte Elsa. » Besuch uns doch mal wieder. «
» Komm du doch in die Bar. In letzter Zeit ist nur wenig Betrieb. Gibt es in deinem Leben gerade einen Kamelienmann, der dir auf unserem Steg am Meer versprechen würde, dir die
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