Das Haus der blauen Schmetterlinge - Roman
den drei Tagen, bis die » Pitcairn « , ein Passagierdampfer mittlerer GröÃe, in See stechen würde, wohnte Elsa in einem Hotel in Portsmouth. Als sie am Morgen des zweiten Tages erwachte, überfiel sie erneut plötzlich die Angst, das Leben künftig ohne Henning verbringen zu müssen. Ihr fiel ein, dass sein Vater ihn in dieses Land geschickt hatte, und allen Ernstes spielte sie mit dem Gedanken, nach ihm zu suchen. Gewiss, er konnte überall sein. Aber wahrscheinlich hielt er sich eher im Süden auf, in der Nähe der Fährhäfen. Oder in London, wo es einen Flughafen gab. Sie könnte einen Privatdetektiv beauftragen â¦
Elsa ertrug die Vorstellung nicht, Henning nie wiederzusehen, nicht einmal ein letztes Mal. Er war für sie so etwas wie ein Geist geworden. Vor vielen Monaten war sie morgens aufgewacht, und der Platz neben ihr war leer gewesen. Henning hatte ihr damals etwas genommen, worauf sie einen Anspruch zu haben glaubte. Was es war? Sie konnte es sich selbst nur unzureichend erklären: Henning hatte ihr den Abschied genommen, den Schlussstrich. Ihr Mann war einfach verschwunden, so als hätte sie ihn nur geträumt.
Rückblickend war für Elsa die Reise nach Deutschland, ohne dass sie es sich damals eingestanden hätte, das Gleiche gewesen: die Suche nach einem Ende. Einem richtigen Ende. Einem Schnitt, der wehtat, aber wenigstens zu spüren war, anders als das geisterhafte gleichzeitige Dasein und Fortsein jenes Mannes, auf den sie ihre Zukunft gebaut hatte.
Selbst das hatte man ihr genommen, das Allergeringste. Henning blieb der Geist, zu dem er in Vandervalts Haus geworden war. Anfangs trennte ihn ein ganzer Globus von Elsa, nun wohnte er vielleicht nur einen Steinwurf weit entfernt von ihrem Hotel in Portsmouth.
Sie unternahm einen Spaziergang, bei dem sie nach jungen, blonden Männern Ausschau hielt. Als sie zurückkam, rauchte sie Opium, gab den Gedanken an die Suche auf und stellte beruhigt fest, dass Warwicks Sorgentöter mindestens noch bis Singapur reichte.
Der Ozeandampfer kam ihr vor wie eine Stadt, die erfüllt war von Lichtern und Gerüchen, von Essen und Bars, von Menschen aus fernen Ländern und vielfältigen Zerstreuungen. Wie hatte sie das auf der Hinfahrt nur übersehen können! Die » Pitcairn « war viel zu schade, um sich in der Kabine wie in einer Klosterzelle einzuschlieÃen, daher unternahm Elsa gleich am ersten Abend eine ausgedehnte Tour durch das » Vergnügungsviertel « der schwimmenden Metropole.
Im Kasino entdeckte sie ein Gesicht, das ihr entfernt bekannt vorkam. Sie brauchte mehr als eine Minute, um sich zu erinnern, wo sie den jungen Mann schon mal gesehen hatte.
» Guten Abend « , sagte sie.
» Guten Abend. Ich habe Sie gleich erkannt, mich aber nicht getraut, Sie anzusprechen. «
» Wegen neulich auf der Fähre? Bitte entschuldigen Sie mein Benehmen. Ich war an dem Tag nicht ich selbst. Heute geht es mir viel besser. Habe ich Sie beim Roulette unterbrochen? «
» Höchstens beim Verlieren. «
» Sie sehen überhaupt nicht unglücklich aus. Ist es für Sie gut oder schlecht? «
» Weder noch. Es ist eigentlich egal. «
Knapp die Hälfte von Warwicks Geld war noch übrig. Bis Singapur würde es allemal reichen. Nur was käme dann?
» Ich habe in Romanen schon öfter über Roulette gelesen, es aber noch nie gespielt « , sagte sie. » Die Literatur ist der einzige Weg, Gefahren zu erkunden, ohne sich ihnen auszusetzen, finden Sie nicht auch? «
Er strahlte sie unsicher an, ohne etwas zu sagen.
Elsa ergänzte: » Man leidet mit den Figuren, ohne selbst zu leiden. Das ist dramatisch und komfortabel zugleich. Sobald man den Buchdeckel zuklappt, befindet man sich wieder in seinem Polstersessel. «
Da er es weiterhin vorzog, nur hübsch auszusehen, ergriff sie die Initiative und setzte hundert Pfund auf Farbe.
Er riet ihr ab.
Eine Viertelstunde später hatte sie aus den hundert Pfund zweihundertdreiÃig gemacht. Eine weitere halbe Stunde später lieà sie sich mit dem Amerikaner vor einem Champagnerkübel nieder. Sie erfuhr, dass er seinen kranken Onkel beerben sollte, einen Reifenhersteller, und bevor es so weit war vorher noch die Welt sehen wollte. In Alexandria wollte er aussteigen.
Am nächsten Tag aÃen sie miteinander, und noch vor Alexandria schliefen sie miteinander, ohne dass Elsa sich viel
Weitere Kostenlose Bücher