Das Haus der blauen Schmetterlinge - Roman
mit weit geöffneten Augen lag er auf den zerwühlten, blutigen Laken.
Max fühlte ihm den Puls, warf einen langen Blick auf seine schäbige Taschenuhr und sagte schlieÃlich: » Drei Uhr sechzehn nachmittags. Er ist tot. «
Die drei Freundinnen saÃen im Salon der Jacht. Keine sagte etwas. Dumpf schlugen kleine Wellen gegen den Bootsrumpf, leise waren menschliche Stimmen zu hören: Max, der an Deck mit einem herbeigeeilten Vertreter der australischen Polizeibehörde sprach. Paulette rauchte eine von Titusâ Zigarren, Elsa hielt sich an einem Gin Pahit fest, und Iolana zupfte den Tischblumen die Blütenblätter ab. Gelegentlich warfen sie sich stumme Blicke zu. Die Frage, was als Nächstes passieren würde, stand wie eine vierte Person im Raum, der man Aufmerksamkeit schenkte, ohne sie anzusprechen. Die Vergangenheit hingegen ignorierten sie vollständig. Zumindest eine der Freundinnen wusste, was passiert war, und die beiden anderen ahnten es, ohne die Details erfahren zu wollen.
Als das Gespräch auf dem Oberdeck verstummte und das Motorgeräusch eines sich entfernenden Beibootes zu hören war, kam Bewegung in den Salon. Paulette drückte die Zigarre aus, Elsa leerte den Drink, und Iolana ordnete die Blütenblätter auf dem Tisch in aller Eile zu einer polynesischen Göttin an. Es war, als erwarteten sie alle, den Raum noch in derselben Minute verlassen zu müssen.
Tatsächlich ging kurz darauf die Tür auf, und Max trat mit einer finsteren Miene ein, die Elsa so nicht von ihm kannte, nicht mal von jener Nacht, als sie ihm zum ersten Mal begegnet war und er eine Patientin verloren hatte.
Er musterte die Freundinnen eine nach der anderen, zuletzt Elsa, auf der sein Blick besonders lange haften blieb.
» Du hast Fieber « , sagte er, wobei er sie zum ersten Mal seit langer Zeit wieder duzte. » Ihr alle habt Fieber. «
Seine klaren Worte drückten eine Behauptung aus, die seine Augen zeitgleich der Lüge überführten.
» Und zwar dasselbe tückische Grippefieber, das Titus Warwick getötet hat. Solche neuen Krankheiten treten in der Südsee immer mal wieder auf. Dieses Schiff steht ab sofort und auf Anordnung des Gouverneurs für eine Woche unter Quarantäne, keiner darf es verlassen oder betreten, auch nicht die Polizei. Warwick wird noch in dieser Stunde auf hoher See bestattet. «
Bevor er ging, wandte er sich noch einmal um und sah die drei Freundinnen nacheinander an. Wieder blieb sein Blick auf Elsa haften. Sie wusste, dass das, was er tat â oder, besser gesagt, nicht tat â, allein ihr zuliebe geschah. Er beschützte die Mörderin, die er liebte, und dass er mit seiner Annahme falsch lag, änderte nichts an der Romantik und Ritterlichkeit seines Verhaltens.
Elsa schenkte ihm ein Lächeln, das er jedoch nicht erwiderte.
» Es wäre übrigens hilfreich « , sagte er, » wenn Gung ebenfalls krank würde. Das sähe irgendwie besser aus. «
Schöne neue Welt
Was in jener Nacht auf dem Boot geschehen war, behandelten die drei Frauen wie ein Familiengeheimnis, das so vertraulich war, dass sie sogar untereinander nicht davon sprachen, so als existiere es dann nicht mehr. Es gab genug Ablenkungen, auch in der Zeit der » Quarantäne « . Als Elsa von der Höhe ihrer Erbschaft erfuhr, konnte sie tagelang nicht klar denken. Da es kein Testament gab, war sie Alleinerbin von neunundfünfzig Millionen Pfund Sterling, auÃerdem etlicher Aktien und Ländereien sowie der Villa in Port Rabaul. Im wahrsten Sinne über Nacht, nach knapp vierundzwanzigstündiger Ehe, war sie damit zur reichsten Frau der Südsee geworden.
Statt zu schlafen, lag sie hellwach im Bett. Der Gedanke, unermesslich viel Geld zu haben und plötzlich Herrin über das eigene Leben zu sein, war so schwer zu greifen wie ein Geist und ebenso schwer zu glauben. Mehrmals stand Elsa auf, um die Kassette zu öffnen, die ihr der Notar übergeben hatte. Darin befanden sich alle Dokumente, die sie unzweifelhaft als Erbin auswiesen, und Elsa nahm sie immer wieder aufs Neue in die Hand und las sie Seite für Seite, Wort für Wort durch. Noch im Morgengrauen wiederholte sie die Prozedur ein weiteres Mal, legte die Kassette schlieÃlich zu sich ins Bett und konnte erst danach für eine Weile schlafen. Kaum erwacht, fiel ihr ein, dass sie ganz vergessen hatte, Opium zu rauchen, dennoch hatte sie kein
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