Das Haus der blauen Schmetterlinge - Roman

über deinen Wunsch nach. Mit jemandem wie mir könnte ich nämlich nicht zusammenleben. «
    Sie lagen sich eine Weile in den Armen, bevor sie mit dem Aufräumen des von Paulette angerichteten Chaos begannen.
    Â» Ich freue mich schon, deine Kinder kennenzulernen « , sagte Elsa.
    Ohne darauf einzugehen, sagte Paulette: » Das ist mein voller Ernst. Du musst endlich und endgültig davon wegkommen. «
    Elsa wusste genau, was Paulette meinte. Am Abend, nach Sonnenuntergang, fuhr sie zum Meer, um die Herkulesaufgabe zu erledigen. Sie hatte alles Opium, was sie besaß, in einen Beutel gestopft, der nun prall gefüllt war wie ein Geldsack. Der Pazifik sollte ihn verschlucken. Er toste. Die Wellen schlugen die stahlgrauen Klippen hinauf, als griffen sie nach der Droge und wollten sie in ein tiefes Grab zerren.
    Natürlich konnte Elsa sich jederzeit neues Opium besorgen. Dazu brauchte es nicht mehr als einen Geldschein und einen Chinesen. Aber den Vorrat hier und jetzt zu versenken wäre ein Symbol der Befreiung. Sie wollte ihr altes Leben gänzlich hinter sich lassen: ihre Kindheit, in der sie nur eine Nebensache gewesen war, das tief verwurzelte Gefühl des Verlassenseins, die immer wiederkehrende Tragödie des Verlassenwerdens, die vielen kleinen und großen Demütigungen, das Jahr mit Henning, das Jahr mit Titus. Vielleicht sogar Max.
    Seine Lüge, was die Approbation betraf, schmerzte sie weniger als sein Vorwurf, sie sei käuflich, zumal er nicht unzutreffend war. Ja, sie hatte sich von Titus gewissermaßen bestechen lassen. Die Gründe dafür waren in eben jenem alten Leben zu suchen, das sie abzustreifen gedachte, ebenso in der Sucht nach Anerkennung und Heimat, die in die Sucht nach Opium gemündet hatte.
    Paulette hatte ihr einen klugen, vernünftigen Rat gegeben, Elsa hatte jedoch noch nie rational denken können. Vielleicht war das Außenseiterdasein in der Kindheit daran schuld, angefüllt mit Sehnsüchten, oder die Bücher von Hedwig Courths-Mahler, oder es lag ihr einfach im Blut, war ererbt von der irrationalen Mutter, die sich mit einem weißen Seemann eingelassen hatte, und dem Vater, der wie der Erste Offizier der » Bounty « eine Südseeprinzessin geheiratet hatte. Elsas bedingungslose Liebe zu Henning, ihre verzweifelte Fahrt nach Bremen, der Einzug in Warwicks Haus, das alles war unvernünftig gewesen. Sie war immer schon verführbar gewesen – die ewige Sünde der Träumer – und stolz – die ewige Sünde der Narren. In dem steten Schwanken zwischen diesen Schwächen entglitt ihr das Leben immer wieder. So jedenfalls empfand sie es an jenem Abend.
    An den Klippen der Matupi Bay, eingerahmt von Schaumkronen, kämpfte Elsa ein schweres Gefecht. Sie hielt den Beutel am Schopf und suchte nach der Kraft, ihn loszulassen.
    Just in diesem Moment saß Iolana nur zweihundert Schritte entfernt auf einem breiten Holzsteg, der in die Bucht hineinragte. Ihr gegenüber schwebte das große Mondauge in der Mitte des Nachthimmels, ein nicht ganz vollkommenes Rund, getrübt von leichtem Dunst, der das Licht dimmte und zerstreute. Der Steg, das Wasser, die Palmen und die Vulkane, alles war mit einem weißlichen Film überzogen, gerade hell genug, um die Konturen hervorzuheben, ohne ihre ganze Gestalt sichtbar zu machen. Der Wind fegte ihr durch die langen Haare.
    Auf der bald zehnjährigen Flucht vor ihrer Vergangenheit hatte Iolana schon viele Buchten kennengelernt, der Pazifische Ozean war voll davon. Doch für jeden Menschen, so glaubte sie, gab es auf der Welt nur einen einzigen Ort, an dem das, was er für schön und erstrebenswert erachtete, in vollendeter Weise seinen Ausdruck fand. Wo ihm die Natur den Kopf ein wenig verdrehte und die Illusion vermittelte, rundum glücklich werden zu können. Das mochte an einem speziellen Wind liegen, an der Farbe des Wassers, der Form der Bucht, an den Bäumen, dem Sand, dem fröhlichen Charakter der Menschen, einem bestimmten Geräusch oder einem Geruch, an den Vögeln, der Lage des Hauses, den Tönungen der Wolken am Abend – oder an allem zusammen. In der Matupi Bay waren das Gewaltige und das Liebliche, das Erschreckende und das Verführerische eine Verbindung eingegangen. Iolana war dieser Mischung verfallen, und sie war sicher, dass es Paulette und Elsa ebenso erging.
    Iolana wandte ihr Gesicht der Landseite zu, wo sich zwischen Strand