Das Haus der bösen Mädchen: Roman
Kennzeichen.«
»Warum hat er die Prostituierte vor fünfzehn Jahren nicht getötet, warum hat er die Zeugin am Leben gelassen?«, fragte Borodin nachdenklich. »Warum ist er plötzlich aus der Wohnung verschwunden? Als er ging, wusste er bereits, dass er nicht wiederkommen würde, sonst hätte er den Recorder, die Kassetten und die afrikanischen Masken nicht mitgenommen.«
»Das ist jetzt unwichtig.« Jewgenija stellte Teller auf den Tisch. »Vielleicht reizte es ihn nicht mehr, das halbtote Mädchen weiter zu quälen.«
»Möglich.« Borodin nickte. »Aber warum hat er die Zeugin am Leben gelassen?«
»Kaum ein Serientäter verwischt seine Spuren. Er wirft sein geschundenes Opfer einfach weg, im Wald oder sonstwo. Viele erklären später sogar, sie hätten sich mit besonderemVergnügen das Gesicht derjenigen vorgestellt, die das Opfer finden würden.«
»Mit anderen Worten – Sie halten ihn für krank?«
»Ja, natürlich.«
Borodin erstarrte mit der Gabel in der Hand. Er sagte nicht, dass sie das Phantombild bereits Unterleutnant Teletschkin gezeigt hatten. Er hatte es lange zweifelnd betrachtet und schließlich gesagt, die Wahrscheinlichkeit liege bei 50:50. Vielleicht war es derselbe Mann, vielleicht auch nicht. Wenn er ihn lebend sehen würde, dann könne er ihn bestimmt identifizieren, aber nicht nach einem vagen Phantombild.
»Ich weiß, Sie haben es satt, immer wieder in Sackgassen zu geraten.« Jewgenija lächelte. »Als ich in diversen Lexika nach diesen idiotischen Loa, Baka und Maman Brigitte suchte, hatte ich auch das Gefühl, etwas absolut Unsinniges zu tun, mir völlig umsonst die Nacht um die Ohren zu schlagen. Das einzige vernünftige Argument dafür war: Ich muss etwas tun! Na schön, ich habe herausgefunden, dass all diese Geister aus dem afrikanischen Voodoo-Glauben stammen. Nun weiß ich also, dass die Leute in Ljussjas Umgebung Spielchen treiben, die für die menschliche Psyche ziemlich gefährlich sind. Und weiter? Natürlich ist das alles zehnmal so schlimm, weil es in einem Kinderheim stattfindet oder in einer Familie mit mehreren Adoptivkindern.«
Borodin hob den Zeigefinger und murmelte etwas, die Augen weit geöffnet.
»Entschuldigung – wie bitte?«
»Die afrikanischen Masken!«, flüsterte er. »Es ist derselbe Mann! In der Wohnung, in der Marina gequält wurde, hingen furchteinflößende Masken an den Wänden. Er hat sie mitgenommen, als er ging.«
»Kein Grund zur Aufregung.« Jewgenija zuckte die Achseln. »Heute Abend werden wir genau wissen, ob er es ist oder nicht.«
»Von Ljussja?« Borodin lächelte traurig. »Meinen Sie nicht, dass das nur eine Illusion ist? Der Fall vor fünf Jahren wurde nie aufgeklärt, obwohl das Opfer noch lebt, und im Gegensatz zu Ljussja war Marina eine normale, zurechungsfähige Zeugin.«
»Sie vergessen den Sprengstoffanschlag und die Zwillinge.«
»Nein, das nicht, aber der Name ›Mama Isa‹ besagt noch gar nichts, so können viele heißen.«
»Nun sagen Sie bloß noch, bei uns wären haufenweise kinderreiche Familien Anhänger von Voodoo und schwarzer Magie.« Jewgenija zündete sich eine Zigarette an. »Wollen Sie wissen, warum er Lilja Kolomejez getötet hat? Sie wurde bei einem Besuch bei Ljussja Zeugin einer rituellen Scheußlichkeit, wollte das Mädchen natürlich dort wegholen und drohte vielleicht damit, das Ganze auffliegen zu lassen.«
»Moment mal«, Borodin schüttelte den Kopf, »Sie haben eben gesagt, er sei ein Psychopath. Wozu braucht er ein Motiv?«
»Aber Sie wissen doch, dass Serientäter fast immer als zurechnungsfähig eingeschätzt werden. Sie unterscheiden sich von normalen Menschen nur dadurch, dass sie ganz gelassen und mit Vergnügen töten. Manche Psychiater bezeichnen das als moralische Idiotie. Aber was zerbrechen wir beide uns darüber den Kopf? Klar ist doch, dass er die Obdachlose getötet hat, weil sie ihn gesehen hatte. Auch Unterleutnant Teletschkin hat er nicht einfach zu seinem Vergnügen überfallen. Der Obdachlosen hat er achtzehn Messerstiche zugefügt, weil er die Gelegenheit dazu hatte. Ich denke, dahinter steht nicht nur ein persönlicher Kick, sondern eine Art Ritual. Bei Teletschkin war ihm nicht nach Ritual. Und er handelte ziemlich clever, jeder glaubte, Teletschkin sei überfahren worden. Er ist verrückt, aber keinesfalls dumm. Nun, was ist, möchten Sie wirklich einen Kaffee? Oder doch lieber Tee?«
»Kaffee.« Borodin lächelte. »Stark und süß. Das habe ich mir schon lange
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