Das Haus der bösen Mädchen: Roman
Erlaubnis eurer Vorgesetzten. Hätte früher ein KGB-Mann sein Kind taufen lassen, wäre er in hohem Bogen rausgeflogen, aus dem KGB und aus der Partei. Jetzt ist das erlaubt, ja, sogar erwünscht, und nun rennt ihr in die Kirche und betet um Vergebung für eure Sünden.«
»Tja, dann seid ihr eben besser als wir.« Der Ermittler lachte. »Ich will mich nicht mit Ihnen streiten.«
»Richtig, weil du nämlich keine Argumente hast. Also, mein Junge, sucht nach Terroristen. Davon gibts mehr als genug bei der jetzigen politischen Lage. Noch Fragen?«
Der Ermittler blickte nachdenklich in die schwarzen Augenhöhlen, die so tief waren, dass sie bei bestimmtem Licht wie bodenlose leere Löcher wirkten. Er hatte noch viele Fragen, aber keine davon hatte mit dem Bombenanschlag in der Einkaufsgalerie und dem Tod von Pnyrjas Neffen zu tun. Vorerst jedenfalls.
Auf der Visitenkarte des Geschäftsführers der Firma »Virginia« Eduard Radtschenko stand mit Bleistift eine Handynummer. Warja schwirrte der Kopf. Sie hätte schrecklich gerngeraucht, steckte sich aber statt einer Zigarette ein Bonbon in den Mund und wählte die Nummer.
»Ja!«, dröhnte ihr eine Männerstimme ins Ohr.
»Hallo, Eduard, was ist denn mit Ihnen los?«, zwitscherte Warja freundlich und erstaunt. »Geht es Ihnen nicht gut?«
»Wer spricht da?«
»Warja Bogdanowa.«
»Ah ja, hallo, Entschuldigung, ich habe Sie nicht erkannt.«
»Eduard, ich rufe wegen des Chanel-Kostüms an. Aus dem Katalog, Sie erinnern sich? Ist die Kollektion schon da?«
»Was für ein Kostüm?«, fragte er nach einer langen Pause mit metallischer Stimme.
»Na, das Chanel-Kostüm aus blassgrüner Seide, ein Dreiteiler aus Rock, Top und Jacke. Sie hatten auch noch passende Schuhe dazu und eine Krokodilledertasche. Sie wollten mir alles zurücklegen. Kann ich zu Ihnen in die Boutique kommen? Ach ja, einen schönen Gruß von Pjotr soll ich ausrichten.«
Es folgte eine erneute, endlos lange Pause.
»Ich habe verstanden«, sagte Radtschenko schließlich leise und erschrocken. »Ich bin bereit, mich mit Ihnen zu treffen. Sagen Sie, wann und wo.«
Warja hatte heftiges Herzklopfen. Sie holte tief Luft, verschluckte dabei unversehens den Bonbon, musste husten und sagte dann streng: »In Sokolniki, vor der Kirche, in einer Stunde. Sie kennen mein Auto – ein weißer VW.«
Im nächstgelegenen Einkaufscenter erwarb sie ein kleines Diktiergerät, Kassetten, eine leichte Leinentasche und einen durchsichtigen Seidenschal. Anschließend setzte sie sich in ein Straßencafé und bestellte ein Glas Saft. Sie musste sich beruhigen. Radtschenko war ein ganz guter Psychologe – zeigte sie sich auch nur im Geringsten aufgeregt, konnte sie alles verderben. Sie kam sich vor wie jemand, der mit verbundenen Augen und in Absatzschuhen auf einer dünnen Stange einen Abgrund überqueren will, ohne die geringste Garantie,auf der anderen Seite, sollte er sie denn erreichen, nicht erschossen zu werden.
Vor einer Woche hatte Pnyrja in einem Vorortrestaurant wieder einmal ein Gelage abgehalten, aus irgendeinem gewichtigen Anlass, es waren eine Menge Leute da. Sie hatten das ganze Restaurant gemietet, alle fünf Säle.
In letzter Zeit wollte der Alte Warja bei solchen Gelegenheiten meist um sich haben und pfiff darauf, dass Malzew früher oder später Wind davon bekommen würde, dass sie engen Kontakt zu einem berüchtigten Kriminellen unterhielt. Er sorgte sich um seine Gesundheit, misstraute den Ärzten, schrieb alle Krankheiten bösen Blicken und Hexerei zu und betrachtete Warja als eine Art immunitätsstärkendes Vitamin.
Zu diesem Bankett zu gehen widerstrebte ihr besonders, denn sie wusste, dass auch einige bedeutende Unternehmer eingeladen waren, Bekannte ihres Mannes. Malzew flog an diesem Tag zu einer internationalen Konferenz nach Belgien, doch Wohlmeinende konnten ihm durchaus hinterher stecken, dass seine junge Frau direkt vom Flughafen zu einem zweifelhaften Gelage gefahren sei. Um sich abzusichern, erzählte Warja Malzew auf der Fahrt zum Flughafen munter, eine Kommilitonin hätte sie für den Abend in ein Vorortrestaurant eingeladen.
Malzew sah ihr separates Leben gelassen und interessierte sich nie sonderlich dafür, mit wem sie sich traf und wo. Misstrauen empfand er als demütigend – für sich und für Warja. Doch diesmal horchte er auf und erkundigte sich nach dem Namen der Kommilitonin.
Habe ich etwa das Lügen verlernt, fragte sich Warja erschrocken, begriff aber dann: Das
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