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Das Haus der bösen Mädchen: Roman

Das Haus der bösen Mädchen: Roman

Titel: Das Haus der bösen Mädchen: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
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Spieß. Und der kleine Leutnant lag auf der Fahrbahn, zwei Schritte vorm Gehweg. Ich dachte, ich muss selber gleich sterben, und bin weggerannt, so schnell ich konnte, in den Hof, hab mich auf den Rasen fallenlassen und gedacht, nein, das erzähl ich niemandem, ich hänge schließlich auch am Leben, aber dann hab ich begriffen, wenn ichs nicht erzähle, wird mich das mein Leben lang quälen. Sogar meine Narbe fing an zu jucken. Stellen Sie sich vor, seit fünf Jahren ist die Stelle vernarbt, und nun juckt sie auf einmal wie verrückt.« Sie beugte sich über den Tisch, hielt Borodin ihr aufgedunsenes rotes Gesicht hin, pikte mit dem Finger auf die durch eine gewölbte krumme Narbe entstellte Wange und flüsterte kaum hörbar: »Ich hab ihn nämlich erkannt, Bürger Untersuchungsführer …«

Neunzehntes Kapitel
    Die Nacht war hell und schwül. Der riesige Hof in einer der stillen Gassen im Zentrum Moskaus lag in tiefem Schlaf. Nicht einmal die Pappelblätter regten sich, selbst die Katzen hatten sich verkrochen. Der unnatürlich große rotstichige Mond gab zu viel Licht – fahles, entzündetes, beunruhigendes Licht. Doch selbst bei dieser absoluten Stille waren die Schritte des einsamen nächtlichen Passanten nicht zu hören. Die weichen Turnschuhe glitten völlig lautlos über den Asphalt.
    Der Mann kam aus dem unbeleuchteten Torweg, überquerte rasch den Hof und verschwand in einem der Eingänge des hufeisenförmigen Zwölfgeschossers, dessen Fassade auf die Straße und dessen Eingänge auf den Hof hinaus gingen.
    Er benutzte nicht den Lift, schaute auf die Uhr, registrierte die Stellung des Sekundenzeigers und rannte die Treppe hinauf. Die zehnte Etage erreichte er in vier Minuten und zweiundvierzig Sekunden. Vor der gesuchten Tür blieb er stehenund fühlte seinen Puls. Ausgezeichnet. Sechzig Schläge pro Minute. Er zog Chirurgenhandschuhe an und lauschte auf die Stille hinter den benachbarten Türen. Die meisten Mieter waren auf ihren Datschas oder machten Urlaub im Ausland. Es war Juni, zudem Wochenende.
    Im dunklen Flur schaltete er eine kleine Taschenlampe ein. Der schmale Strahl tastete die Wand ab und hielt am Stromzähler inne. Daneben war die Alarmanlage installiert. Er wunderte sich nicht, als er entdeckte, dass sie abgeschaltet war. Wahrscheinlich hatte der junge Solodkin die Wohnung als Letzter verlassen, und der konnte nicht nur die Alarmanlage vergessen, sondern selbst seinen eigenen Kopf.
    In der Küche summte leise der Kühlschrank, im Bad tropfte ein Wasserhahn – mit aufdringlicher Regelmäßigkeit zerhackten die fallenden Tropfen die schwüle Stille der leeren Wohnung. Der Mann blickte hinter die angelehnte Tür des nächstgelegenen Zimmers, stellte fest, dass dies das Arbeitszimmer war, ging hinein, schloss lautlos die Tür, ließ die Jalousien herunter, zog die schweren Samtvorhänge zu, schaltete das Licht ein und untersuchte den antiken Eichenschreibtisch. Zwei der sechs Schubladen waren verschlossen. Rasch sichtete er den Inhalt der vier offenen. Nichts von Interesse. Papiere, drei Plastikmappen mit Presseausschnitten, ein Fotoalbum mit Familienschnappschüssen, alte Telefonbücher und Kalender, eine flache Schachtel mit Visitenkarten. Den Schlüssel für die verschlossenen Fächer entdeckte er bald. Die Hausherrin war nicht besonders einfallsreich – sie hatte ihn in den Marmorbehälter für Stifte auf dem Schreibtisch geworfen.
    Er hatte Glück. Gleich im ersten Fach fand er einen dicken Packen Dollarscheine. Im zweiten einen weiteren, etwas dünneren, außerdem ein mit kleinen Brillanten verziertes antikes Zigarettenetui.
    Der nächste, hinter dem Arbeitszimmer liegende Raum war das Schlafzimmer der Hausherrin. Auf dem Toilettentischstand eine hübsche Lackschatulle mit einem raffinierten Schloss. Er zog ein Klappmesser aus der Tasche. Die zwanzig Zentimeter lange, blitzende schmale Klinge war von ungewöhnlicher Rhombenform. Das Schloss gab nach. Eine angenehme, leise Melodie ertönte.
    Offensichtlich liebte die Hausherrin große Brillanten. Er hätte gern alles mitgenommen, hielt sich aber zurück und nahm nur, was ihm am wertvollsten erschien. Drei Ringe mit riesigen Steinen – zwei davon eindeutig antik, einer modern und grob, aber beim Anblick des Steins darin gingen ihm die Augen über. Einen mit Diamanten besetzten Platinanhänger in Form eines Notenschlüssels und dazu passende Ohrringe.
    Die Hände schwitzten in den Handschuhen und juckten. Außerdem hatte er Durst. Er

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