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Das Haus der Bronskis

Das Haus der Bronskis

Titel: Das Haus der Bronskis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Marsden
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Schilf. Man hatte sie mit ihrem eigenen Haarband erdrosselt.
    Doch für Helena ließ sich all das schwer in Einklang mit der Gestalt Herrn von Sandens bringen. In seiner Gegenwartschien der Krieg weit weg zu sein. Manchmal kam er an späten Sommernachmittagen, führte ein zweites Reitpferd am Zügel mit, und sie ritten aus   – über die niedrigen Hügel jenseits des Sees, über die Felder und in die
puszcza
hinein. Er sang mit einer Baßstimme, die zwischen den Bäumen aufstieg. Er sang von seinem Schloß am Rhein und den schwarzen Vögeln, die um dessen Türme kreisten.
    Den ganzen August und September hindurch holte von Sanden Helena einmal in der Woche zu einem Ausritt ab. An einem Abend, erinnert sie sich, hatten sie den Rückweg am Fluß entlang genommen. Sie waren abgestiegen, hatten die Pferde getränkt und sich ans Ufer gesetzt. »Der Winter kommt, Helena«, hatte er gesagt. »Wir brechen bald auf.« Dann hatte er sich ihr zugewandt und geflüstert: »Kommen Sie mit mir auf mein Schloß am Rhein mit den schwarzen Vögeln und dem Nebel. Heiraten Sie mich, Helena.«
    Sie war zu überrascht gewesen, um zu antworten.
    »Was sagen Sie dazu, Helena?«
    Sie hatte gesagt, nein, sie könne ihn nicht heiraten. Sie liebe ihn nicht. Sie mochte ihn, aber sie liebte ihn nicht. Sie wußte inzwischen, was Liebe war, wirkliche Liebe, weil sie seit mehreren Wochen in einen Mann namens Józef verliebt war.
     
    Zu der Zeit war Józef ein Mann von etwa fünfunddreißig Jahren. Teils litauischer, teils tatarischer Abstammung, hatte er eine flache v-förmige Stirn und einen dunklen Teint. Er besaß zwei Güter beiderseits von Platków und verbrachte seine Zeit damit, in einer grünlackierten
bryczka
zwischen beiden hin und her zu reisen. Wenn er an Platków vorbeikam, stattete er jedesmal einen Besuch ab.
    Alles, was von einer langen Folge hochgezüchteten Adels übriggeblieben war, waren Józef und seine Mutter, die in Wilna lebte. Laut Helena galt sie als die »bestangezogene Frau der Kresy«   – obwohl sie, seit ihr Mann vor fünfzehn Jahren gestorben war, das Bett nicht mehr verlassen hatte.
    Józef hatte ihre Eleganz geerbt. Da er zu Hause keine Familie hatte, pflegte er, wenn er sich langweilte, einen Nankinggehrock anzulegen, in seine
bryczka
zu springen und »auf Tour« zu gehen   – ein Ausdruck, den er selbst für sein unangemeldetes Auftauchen auf einem beliebigen Nachbargut gebrauchte. Da er unverheiratet war und ein fabelhafter Erzähler, war er gewöhnlich willkommen. Doch jetzt, da die
dwóry
großenteils verlassen waren, waren seine »Touren« auf Platków beschränkt.
    Ende August war eine Hitzeperiode. Zwischen den aufgeheizten Tagen lagen aufgeheizte Nächte. In Platków versammelte sich die Hausgemeinschaft am Abend in gereiztem Schweigen auf der Veranda. An dem zweiten dieser Abende ratterte Józefs
bryczka
im bleiernen Dämmerlicht aus der Allee.
    »Vollmond und eine warme Nacht!« rief er, als er die Stufen zur Terrasse hinaufstieg. »Sie wissen, was das bedeutet?«
    »Liebe . . .« seufzte Tante Anna.
    »Krebse!«
    Józef bat Tekla, ein paar Kartoffeln einzupacken, und führte sie alle, mit drei Eimern beladen, hinunter zum Wodalkasee.
    Der Mond hing dick und reglos am Horizont. Schilf stand dünnbeinig am Ufersaum. Dazwischen, zwischen diesem schmächtigen Röhricht, hielten unzählige Frösche ihre schleppenden Debatten ab.
    Schnell flammte das Feuer auf. Aus den Birkenscheiten sandte es Funken empor, die einen kurzen Augenblick vor den Sternen glühten. Tekla schnitt Stecken für ein Gestell und hängte zwei Henkeltöpfe mit Wasser über die Flammen. Tante Anna saß daneben mit Helenas Mutter, einer Feldflasche mit schwarzem Kaffee und zwei Schachteln türkischen Zigaretten.
    Józef ging mit Helena und ihrer Schwester ans Wasser, wies sie an, unmittelbar am Uferrand auf und nieder zu springen, legte sich selbst flach hin und ließ die bloßen Arme im Wasser schleifen. Die Krebse krochen vom Uferrand weg, und er fischte sie heraus.
    Józef war ein glänzender Imitator, und als sie später im Schein des Feuers die warmen Schalen aufknackten, ließ er die Wilnaer Gesellschaft mit so viel Kunstfertigkeit wiedererstehen, daß es schien, als habe es nie einen Krieg gegeben. Die Nacht hallte wider von Tante Annas Lachen.
    Es war schon nach Mitternacht, als Józef Helena allein am See entdeckte. Er ergriff ihre Hand. »Hela, ich liebe dich. Ich liebe dein Seidenhaar und deine dünnen Arme und die

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