Das Haus der Bronskis
Sommersprossen auf deiner Nase. Ich liebe deinen fernen Blick und die Sterne in deinen Augen. Ich liebe dich, ich liebe dich, ich liebe dich.«
Und damit hatte es sich. Am nächsten Tag fuhr er weg. Helena wurde nicht klug daraus. Wann immer er nach Platków kam, passierte genau dasselbe: er benahm sich ihr gegenüber völlig normal, bis sie zufällig allein waren. Dann ergriff er ihre Hände und erzählte ihr von seiner Herzensqual und seiner tiefen Liebe. Aber nicht ein einziges Mal bat er sie, ihn zu heiraten.
Es bedurfte des Kutschers Stefan, um zu merken, was vorging. »Dieser Graf Józef kommt zu oft hierher. Was soll daraus werden, Panna Helena?«
»Ich weiß nicht, Stefan.«
»Nichts Gutes, das sage ich Ihnen. Er sollte mehr Zeit damit zubringen, seine undichten Dächer zu richten, als Sie hier zu belästigen.«
»Aber wenn ich ihn nun heiraten würde, Stefan? Du könntest kommen und für uns arbeiten und deine Zeit zwischen hier und dort aufteilen!«
»Ihn heiraten? Den bankrotten alten Tataren? Den sollen die Enten treten! Er hat Schulden, die er nie los werden wird.«
Das ist es also, dachte Helena. Darum hat er mich noch nicht gebeten, ihn zu heiraten – seine Schulden! Und für dieses noble Opfer, das ihr eine so tiefe wie blinde Bewunderung einflößte, begann sie Józef nur noch mehr zu lieben.
15.
D er Sommer
1918 war heiß gewesen. Der Krieg war zum Stillstand gekommen, und das Land schöpfte Atem. Helena sah den Erholungsprozeß seinen Anfang nehmen.
Jeden Morgen ging sie die Auffahrtsallee hinunter, durch die Kirschgärten und über die Felder zur Messe. Zuerst hatte Roggen- und Gerstenflaum die Felder bedeckt. Dann reichten die Schößlinge Helena bis zum Knöchel, dann bis zur Wade, dann bis zum Knie. Im Juli trockneten die Halme ein und wurden gelb; die
parobcy
nahmen ihre Sensen vom Haken und zogen Mitte August in einem langsam ausholenden Tanz über die Felder. Sie banden das Getreide zu Garben und stellten es in Hocken auf, bis die Sonne es getrocknet hatte. Leiterwagen in langen Reihen fuhren die Garben in die Scheunen. Im September versammelten sich alle in der Kirche, um Gott für die Ernte zu danken. Alle waren sehr nervös angesichts des bevorstehenden Winters.
Die Herbstmonate über fuhr Touren-Józef fort, Helena seine Liebe zu bekunden. Sie war mit ihm zufrieden. Seine drängenden Aufmerksamkeiten waren ihr eine Beruhigung. Sie wußte, sobald seine Güter nach dem Krieg wieder in Ordnung gebracht wären, sobald er bereit wäre, würde er sie bitten, ihn zu heiraten.
Polen wurde frei. Niemand hätte gewagt vorherzusagen, was in Warschau in jenem November geschah. Am 11. November endete die deutsche Besetzung Polens. Die Soldaten wurden auf den Warschauer Straßen entwaffnet.Piłsudski wurde aus dem Gefängnis entlassen, kam nach Warschau und wurde drei Tage später zum Staatschef ernannt. Zum erstenmal seit dem achtzehnten Jahrhundert war Polen wieder ein souveräner Staat.
Nach Platków gelangte die Nachricht an einem frostkalten Morgen mit dem Klang von Hufen in der Kastanienallee. Freiherr von Sanden ritt auf seinem Braunen unter den Bäumen hervor. Er schwang sich aus dem Sattel. Er verabschiedete sich einzeln von allen, die sich auf der Treppe eingefunden hatten, küßte den Damen die Hand, schüttelte sie den Männern. Dann verbeugte er sich vor ihnen und saß wieder auf. Sein Hengst tänzelte rückwärts, versuchte sich aufzubäumen, und von Sanden rief: »Gott segne Polen! Gott segne Sie alle!«
Dann riß er das Pferd herum und war auf und davon, ritt fort durch die Allee, fort aus ihrem Leben, zurück zu seinen schwarzen Vögeln und seinem nebligen Schloß am Rhein.
Im Dezember traf Onkel Augustus von Warschau aus in Platków ein. Er war zum Bischof von Riga ernannt worden und überbrückte die Zeit, bis er seinen neuen Sitz einnehmen konnte, in Begleitung eines jungen Kaplans, der ihm Lettisch beibringen sollte. Der Kaplan war blaß und schmal und sehr schüchtern. Wenn Helena abends mit Onkel Augustus beim Schachspielen saß, sah sie den Kaplan um die Ecke des Salons huschen und sich mit einem Übungsbuch zur lettischen Grammatik an seinen Bischof heranpirschen.
Weihnachten wurde in der großen Diele von Platków Christmette gehalten. Onkel Bischof stand auf der Treppe. Der Kaplan stand eine Stufe tiefer und hielt den Abendmahlskelch umklammert. Drei Soldaten – zwei Amputierteund ein vom Geschützlärm ertaubter Subalterner – saßen am
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