Das Haus der Feuerfrau (German Edition)
möglichst weit draußen, in den üblen Gegenden nahe der Mülldeponien, wo ein Strolch mehr nicht auffiel. Ich lebte, wo es möglich war, von Gelegenheitsarbeiten; wenn ich keine Arbeit bekam, bettelte ich. Natürlich war ich in dieser Art von Leben völlig unerfahren, und ich hatte Glück, dass es unter den Pennern ein paar nette Kerle gab, die einem Newcomer gute Tipps gaben, sonst hätte ich es wohl nicht überstanden.
Ich bin überzeugt, dass ich heute so klar im Kopf bin wie irgendein anderer, aber damals war ich zumindest halb verrückt. Was ich mitgemacht hatte, hatte mich in einen völlig paranoiden Zustand versetzt. Vor allem hatte ich entsetzliche Angst vor sexueller Aggression anderer Männer. Ich sah mich von allen Seiten bedroht. Es genügte schon, dass einer mir nur auf die Schulter klopfte, und ich drehte durch und schlug um mich. Die anderen Penner lernten sehr schnell, dass man von mir Respektsabstand halten musste. Aber da dort draußen jeder eine andere Macke hatte, kümmerte sich niemand besonders darum.“
Er sprach unverblümt davon, dass ihn diese Furcht nie mehr losgelassen hatte. Noch jetzt begegnete er anderen Männern feindselig und furchtsam zugleich, sogar Terry Hirsch, den man wohl kaum als Urbild bedrohlicher Männlichkeit ansehen konnte. Im Gegenteil, der Junge war sanft und scheu und so sehr in seiner eigenen dunklen Welt eingesponnen, dass er den so viel älteren Geschlechtsgenossen widerstandslos als Vaterfigur akzeptiert hatte. Das änderte aber nichts daran, dass Robert Junkarts ihm nach wie vor mit einer Mischung aus Angst und stets sprungbereiter Aggression gegenübertrat. „Das hat nichts mit ihm als Menschen zu tun“, erklärte er uns. „Ich weiß, dass er ein Seelchen ist. Wahrscheinlich hat er viel mehr Angst vor mir als ich vor ihm. Es liegt nur daran, dass er ein Mann ist. Ich halte es kaum aus, allein mit ihm in einem Zimmer zu sein, und um nichts in der Welt würde ich im selben Bett mit ihm schlafen.“
Er vermied es diskret, davon zu sprechen, wie viel Angst er dann erst vor Alec haben musste, der trotz seiner Behinderung seine Männlichkeit ziemlich pompös vor sich hertrug. Mir wurde aber klar, welchen Mut unser Freund aufgebracht hatte, als er sich auf eine so intime Nähe mit uns einließ, und ich bewunderte ihn dafür.
„Damals“, kehrte Robert zu seinen Erinnerungen zurück, „geschah ein scheußliches Verbrechen ... Ich weiß nicht, ob es in der Tageszeitungen überhaupt erwähnt wurde, aber unter den Pennern war es Tagesgespräch. Ein Obdachloser war verschleppt worden, und wenig später fand man seine Leiche. Er war missbraucht und zu Tode geprügelt worden.“‚
Alec warf ein: „Doch, ich erinnere mich an den Fall. Du meinst den ‚Mann im Käfig‘, nicht wahr? Ein paar extreme Typen aus der Lederschwulen-Szene hatten ihn entführt und später ermordet, nachdem sie ihn für Sex benutzt hatten. Die Täter wurden sehr rasch gefasst, weil die meisten Ledermänner mit solchen Dingen nichts zu tun haben wollen und der Polizei einen Tipp gaben.“
Robert nickte. „Stimmt. Mir gab diese Geschichte damals den Rest. Die Täter waren verhaftet worden, aber in meinem Verfolgungswahn war ich überzeugt, dass es von solchen Typen nur so wimmelte. Jeden Moment konnte mich einer zu fassen kriegen und mir dasselbe Schicksal bereiten. Dann war ich eines Nachts ziemlich weit draußen unterwegs. Es war im Sommer, und über den Halden zog ein Gewitter auf, als wollte gleich die Welt untergehen. Ich sah es kommen, dass ich die Nacht in triefnassen Kleidern verbringen würde. Da hielt ein Kleinlaster an, und der Fahrer fragte mich, ob ich bis zum Busbahnhof bei der Alten Eisfabrik – also in eine belebte Gegend – mitfahren wollte. Ich war sehr dankbar dafür und kletterte in den Wagen, in dem zwei Männer saßen ... und dann ging mir auf, dass die Typen nicht nur offensichtlich schwul waren, sie sahen auch ziemlich grimmig aus mit ihren Bürstenfrisuren und mächtigen Schnauzern und den Lederwesten, die sie beide trugen.
Ich konnte nichts anderes denken, als dass die Burschen auf der Jagd nach einem hilflosen Opfer waren. Ein paar Minuten saß ich nur da, so starr vor Entsetzen, dass ich nicht einmal denken konnte. Dann schrie ich, sie sollten mich aussteigen lassen. Ich dachte nicht daran, dass wir in dem Moment auf einer Zubringerstraße fuhren, auf der ich gar nicht aussteigen konnte. Ich fürchtete, sie wollten mich nicht gehen lassen, und fing an um mich
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