Das Haus der Feuerfrau (German Edition)
wussten alle, dass wir in dieser Nacht ohnehin nicht würden schlafen können, auch wenn wir zu Bett gingen, also saßen wir bis zum hellen Morgen beisammen und redeten. Es erinnerte mich an die Zeit, als ich noch sehr jung gewesen war und die Nächte damit zugebracht hatte, Unmengen von Zigaretten zu rauchen und über Gott und die Welt zu diskutieren. Das Rauchen hatte ich schon längst aufgegeben, aber lange nächtliche Gespräche machten mir immer noch Freude.
Alec erzählte von seiner verstorbenen Frau. Er war einer der Glücklichen gewesen, die eine lange Beziehung zu einem gleich gesinnten – oder besser gesagt: komplementär gesinnten – Partner eingehen konnten. „Eigentlich“, erklärte er, „hatte ich nach Arianes Tod wieder eine devote Frau gesucht, aber dann begegnete ich Charmion, und wir wussten sofort, dass wir zusammen gehören, auch wenn es bedeutete, dass wir einander keine Erfüllung schenken konnten – jedenfalls nicht in dieser Hinsicht. Deshalb waren wir von Anfang an einverstanden, eine oder einen Dritten zu finden.“
Robert lauschte aufmerksam. „Das ist eine völlig fremde Welt für mich“, versetzte er. „Ich wusste, dass es solche Neigungen gibt, aber ich dachte, das würde nur weibische, schwache und charakterlose Männer betreffen.“
Ich hörte deutlich heraus, was ihm zu schaffen machte, und so fiel ich rasch ein: „Das stimmt absolut nicht. Viele dieser Männer sind in ihrem sozialen Leben sehr hart. Erfolgreiche Männer, die sich nach oben geboxt haben.“
Das tröstete ihn sichtlich. Den Blick abgewandt, gestand er: „Ich wäre sehr unglücklich mit dem Gedanken, das ich irgendetwas Weibisches an mir habe. Mich haben Tunten immer angewidert.“
Ich hätte ihm erklären können, dass
weibisch
und
weiblich
zwei sehr verschiedene Dinge waren, aber das hob ich mir für später auf, wenn er in der Lage sein würde, eine theoretische Lektion zu verkraften. Im Moment war nur wichtig, dass ich seinem schwankenden Selbstbewusstsein auf die Beine half. Viele Menschen hatten Schwierigkeiten damit, ihre masochistischen Neigungen zu akzeptierten, die Männer, weil es ihrem Rollenbild so sehr widersprach, die Frauen, weil es so gut zu ihrem traditionellen Bild passte.
Mein Gefährte kam mir zu Hilfe. „Du bist wirklich der Letzte, zu dem das Adjektiv ‚tuntenhaft‘ passen würde.“ Alec blinzelte über den Rand seiner Kaffeetasse hinweg. „Nein, ganz im Ernst, Robert. Du hast mich beeindruckt.“
„Tatsächlich?“
„Ja. Es gehört viel, sehr viel dazu, mit Würde zu leiden, und du bringst das zustande. Du bist das, was Charmion einen guten Masochisten nennt – einen Mann, der imstande ist, sich bis über die Ohren ins Leiden fallen zu lassen und dabei ein Mann vom Feinsten zu bleiben; einen Mann, der es fertig bringt, auf den Knien eine Latrine zu putzen und dabei auszusehen wie ein junger Gott.“
Robert, dem die ganze Zeit über das Lachen ebenso nahe lag wie das Weinen, prustete in die gefalteten Hände. „Nein, ich glaube nicht, dass ich ausgesehen habe wie ein junger Gott. Ich sah aus wie ein grün und blau geprügelter Kerl in Unterhosen, der einen Abtritt putzt.“
Wir lachten, wahrscheinlich nur, weil
er
lachte und weil wir alle drei so überkandidelt waren, dass wir auch über eine Fliege an der Wand gelacht hätten, aber dann wurde wir alle drei rasch wieder ernst, als Robert sagte: „Ich habe mich nie wieder davon erholt, was mir damals angetan wurde.“
„Willst du darüber reden?“, fragte Alec. „Wir hören dir zu. Wir haben beide schon viel erlebt, nichts, was du sagst, wird bei uns auf Unverständnis stoßen.“
Robert war anzumerken, wie sehr es ihn drängte, von seinen Erlebnissen zu sprechen. Er begann nur zögernd, sprach aber dann, als wir ihm aufmerksam lauschten, sehr bald fließend weiter. „Ich habe dieses Jahr zwischen meiner Flucht aus dem Krankenhaus und meiner Ankunft hier im Haus nur noch teilweise in Erinnerung. Ich stand unter einem derartigen existenziellen Schock, dass ich oft wochenlang wie in Trance lebte, so weggetreten wie ein Trinker oder ein Junkie. Mein einziger klarer Gedanke war, dass ich mich nicht in der Innenstadt oder auch nur in einer der halbwegs anständigen Gegenden aufhalten durfte, weil dort die Gefahr bestand, dass ich erkannt wurde, entweder von Niks Handlangern oder ... nun, es gab außer Nik ja auch noch genug andere Leute, die mir gerne eins über den Schädel geschlagen hätten. Also verkroch ich mich
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