Das Haus der Feuerfrau (German Edition)
Absicht aber nach einem längeren Gespräch mit dem Angeschuldigten wieder aufgegeben hatten. Hatte Wolfram Hartmann ihnen bei dieser Gelegenheit erzählt, wobei er ihren Sohn wirklich erwischt hatte?
Als ich mir die Meldungen ein zweites Mal durchlas, kam mir eine Idee. Der Name des Burschen, der im Keller von einem „weißen Ding“ attackiert worden war, war in der Zeitung genannt worden – Paul Mannlicher. Wenn er damals 15 gewesen war, so war er jetzt ungefähr 35.
Ich konsultierte das Telefonbuch. Es gab drei Paul Mannlicher, und beinahe hätte ich laut gejubelt: Einer davon war Besitzer einer Musikalienhandlung in der Larabaya-Straße, auf Nr. 56! Das musste der Mann sein, den ich suchte.
Wenn es nicht gerade zum Schaden eines anderen ist, habe ich keinerlei Skrupel zu lügen, und so rief ich Paul Mannlicher an und stellte mich kühn als berühmte Schriftstellerin vor, die an einem Werk über authentische Spukerscheinungen arbeitete. „Ich habe hier eine Information vorliegen, der zufolge Sie einmal Zeuge eines Phänomens wurden ...“
„Oh Gott, das ist schon doch mehr als zwanzig Jahre her!“ Mannlicher hatte eine sanfte, feminine Stimme und eine etwas tuntenhafte Art. „Ist das denn überhaupt noch interessant?“
Ich hörte mich an wie der Wolf, als er sich seine Stimme mit Kreide weich gemacht hatte. „Vielleicht ist es nach zwanzig Jahren sogar viel leichter, der Wahrheit näherzukommen. Man muss nicht mehr so viel Rücksicht nehmen.“
Der Schuss traf besser, als ich erwartet hatte. „Ja, da haben Sie verdammt nochmal recht“, antwortete Mannlicher, in dem plötzlicher Groll aufbrodelte. „Inzwischen sind sie beide tot, und da möchte ich wirklich wissen, wer mir jetzt noch den Mund verbieten soll. Wann, sagten Sie, wollten Sie kommen?“
„Hmmm ... jetzt gleich?“
„Ja, warum nicht.“
Ich packte die zwei eindrucksvollsten meiner Bücher als Legitimation ein und machte mich auf den Weg.
Eine meiner Absonderlichkeiten war, dass ich nie Autofahren gelernt hatte. Erst war es mir zu teuer gewesen, den Führerschein zu machen, und als ich dann endlich genug Geld verdient hatte, war mir bereits klar gewesen, dass ich das Zeug zur Mörderin am Volant hatte. Jähzornig, reizbar und unbeherrscht, war ich genau der Typ, der seine Aggressionen am Gaspedal ausließ. Ich erkannte, dass es für mich und meine Mitmenschen sicherer war, wenn ich ein Taxi benutzte.
Als der Mietwagen mich über die Kuppe des Hügels trug, war es sommerlich warm geworden. Der Fahrer hatte alle Fenster heruntergekurbelt und ich genoss es, dass der Wind an mir vorbeirauschte. Es würde einen sehr heißen Sommer geben, wahrscheinlich auch viele Gewitter.
Auf dem runden Platz vor der Barock-Kirche fand ich Paul Mannlichers Musikalienhandlung. Es war ein feierlicher Laden mit getönten Schaufenstern, hinter denen nur ein Klavier auf einem kirschhölzernen Podest stand.
Mein Eintreten setzte eine schrill piepsende Ladenglocke in Aktion, und sofort kam der Besitzer aus einem Hinterzimmer heraus. Paul Mannlicher passte zu seinem Geschäft. Ich sah mich einem Mann Mitte dreißig gegenüber, blond, sorgsam gepflegt, höchstwahrscheinlich schwul, mit einem langen Schafsgesicht und sensiblen Augen. Als ich mich zu erkennen gab, bat er mich sofort ins Hinterzimmer, wo eine Sitzgarnitur aus Chrom und Stahl neben einem prachtvoll geschnitzten alten Schreibtisch stand. Er bot mir Kaffee an, türkischen Kaffee in winzigen Tässchen, in denen sich mehr Sud als Kaffee befand, und ein großes Glas eisgekühltes Mineralwasser, das mir sehr gelegen kam. Dann fing er an, mich mit den üblichen Fragen zu löchern.
Glücklicherweise hatte ich Übung darin, das Interesse von mir weg auf das Thema zu lenken, um das es mir ging, und so waren wir gerade erst mit einem Tässchen Kaffee fertig, als Mannlicher auch schon dabei war, mir sein Jugendabenteuer in allen Einzelheiten zu erzählen. Ich hatte ihm natürlich nichts davon gesagt, dass ich demnächst im Totenhaus wohnen würde. Als er mir das Gebäude schilderte, nickte ich nur interessiert.
„Für uns Jungen vom Gymnasium“, erklärte er mir, „war es natürlich ein faszinierender Ort. Wir lasen alle Horror-Romane und ‚Wahre Verbrechen‘ und machten uns die tollsten Vorstellungen, was in einem Bestattungs-Institut alles vor sich gehen mochte. Ich weiß noch, wie wir ausflippten, als wir Evelyn Waughs ‚Tod in Hollywood‘ lasen. Miss Thanatogenous! Der ‚Flüsternde Hain!‘
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