Das Haus der Feuerfrau (German Edition)
Polizist, der mich hochhob und in den Garten hinausschleppte. Sie wollten mir hinterher einreden, ich hätte vor lauter Angst Halluzinationen gehabt, aber woher kamen dann die Kratzer in meinem Gesicht? Und es waren genau solche Kratzer, wie Ricky sie auf den Wangen hatte, nachdem er sich die Schlinge wieder vom Hals reißen wollte und es nicht mehr schaffte!“
Ich machte mir Notizen, mehr um ihm zu zeigen, wie ernst ich seinen Bericht nahm, als weil ich sie gebraucht hätte. Wenn mich etwas interessierte, hatte ich ein Gedächtnis wie ein Videorecorder.
„Mir graut jetzt noch, wenn ich an dem Gebäude vorbeigehen muss“, gestand Paul Mannlicher. „Ich habe dieses Erlebnis nie vergessen. Ich würde die Villa auch nie wieder betreten, obwohl sie längst wieder bewohnt ist.“
„Ich habe gelesen, das Haus sei wegen der vielen Unglücksfälle, die sich darin ereigneten, das Totenhaus genannt worden ...“
„Ja, das stimmt. Es hatte immer schon einen unheimlichen Ruf, lange bevor Hartmann sein Bestattungsinstitut darin aufmachte. Das hängt wahrscheinlich damit zusammen, dass die Schwertsaks – die Familie, die es erbauen ließ – so viel Pech hatten, nachdem sie in ihr neues Heim gezogen waren. Sie waren ursprünglich schwerreich, aber dann gingen sie innerhalb eines halben Jahrhunderts vor die Hunde. Es muss wohl auch einiges geschehen sein, was nicht bekannt werden durfte, denn einmal, so hieß es, verschwand ein Kind, ein kleines Mädchen von fünf oder sechs Jahren, und ein andermal wurden drei Dienstboten vermisst, zwei Erwachsene und ein Knabe ... Angeblich hatten sie gekündigt und waren in ihre Heimat zurückgekehrt, aber das Gerücht hielt sich ewig, sie seien umgebracht und irgendwo im Haus verscharrt worden. Der letzte Schwertsak, Joseph, war ein Sonderling und Menschenfeind, der vom Geldverleihen lebte und das Haus völlig verwahrlosen ließ. Es heißt, er hätte sich auf eine gräuliche Art umgebracht, indem er Karbolsäure trank.“ Plötzlich klatschte er lebhaft in die Hände. „Aber warten Sie, da gibt es etwas, das Sie lesen müssen, wenn Sie sich für das Totenhaus interessieren!“
„Und das wäre?“
„Es gibt ein Buch darüber. Das heißt, eigentlich ist es nur ein Heftchen, aber für eine Schriftstellerin ist es sicher interessant. Eine Dame, die 1910 in das Haus zog, hatte dort eine Serie unheimlicher Erlebnisse, über die sie ein Tagebuch führte. Im Bezirksmuseum gibt es eine Kopie davon, die Sie einsehen können.“
Ich dankte ihm für seine Auskünfte, plauderte noch ein paar Minuten höflich über Alltäglichkeiten und verabschiedete mich dann.
Die Chronik der Marie Edle von Schwengen
Das Bezirksmuseum befand sich keine hundert Schritte entfernt unmittelbar hinter der Kirche, im ehemaligen Pfarrhaus. Ich nutzte also die Gelegenheit und stattete ihm einen Besuch ab.
Es war nicht gerade ein aufregendes Etablissement. Die drei trüb beleuchteten Räume waren menschenleer. Nur im Vorzimmer saß in einem Lehnsessel der Kustos, ein älterer Herr, der einen gebrechlichen und schläfrigen Eindruck machte. Ich erklärte ihm, dass ich mich für das Buch über die Geister in der Larabaya-Straße 12 A interessierte.
Er tappte mir voraus in den hintersten Schauraum, wo in einer versperrten Glasvitrine eine Anzahl Bücher über die Sehenswürdigkeiten des Bezirks standen, und fischte einen dünnen grauen Band heraus, den er vor mir auf den Tisch legte. Ich las den Titel: „Im Totenhaus – 15 Monate als Mieterin in einem Spukhaus“.
Er warnte: „Sie dürfen das Buch nicht ausleihen, weil es inzwischen schon sehr selten ist, aber Sie können hier drin schmökern ... warten Sie, ich mache Ihnen besseres Licht.“ Er schaltete eine Lampe im Winkel ein und wies auf einen hölzernen Stuhl. „Ich glaube, dort können Sie bequem lesen, es ist ja auch kein sehr dickes Buch.“
Ich zog mir den Stuhl zum Licht und setzte mich in der staubigen Stille des Museums zurecht, um den Bericht über den Spuk in meinem Traumhaus zu lesen. Das Vorschlagblatt zeigte eine Fotografie des unteren Flurs, wie er um die Jahrhundertwende ausgesehen hatte – düster und atembeklemmend stickig mit seinen schweren Samtportieren, den Straußenfedern und künstlichen Blumen in einer Majolika-Vase und den schokoladebraun tapezierten Wänden. Sofort erkannte ich die gehörnten und geschweiften Möbel wieder. Ich wäre erstickt, dachte ich, wenn ich in dieser muffigen Gruft hätte leben müssen!
Die Niederschrift
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