Das Haus der Feuerfrau (German Edition)
schwere Schritte die Treppe hinunter.
Im nächsten Augenblick ging der Spuk wieder los.
Alec stand im oberen Drittel der Treppe, im Schlafrock, den Gehstock in der Hand. Das Treppenlicht, das mit dem schwachen gelblichen Schein einer Sparbirne brannte, erhellte nur undeutlich seine massive Gestalt. Er wollte eben, eine Hand aufs Geländer gestützt, einen Schritt herunter machen, als im zweiten Stock oben ein wüstes Gepolter losbrach. Schritte, aus denen Angst und Verzweiflung klangen, eilten die hölzernen Stufen hinunter, während ein schwerer Gegenstand rumpelte und immer wieder an die Kanten anstieß. Dann tauchte die Gestalt einer Frau auf, die freilich nicht mehr war als ein gesichtsloser graubrauner Schatten – und ohne einen Augenblick innezuhalten stürmte sie mitsamt ihrem Koffer und ihrem flatternden Regenmantel die Treppe hinab, glatt durch Alec hindurch!
Ich sah gerade noch, wie sie an der rechten Seite des Flurs verschwand. Eine Welle eisiger Kälte wehte vor ihr her und hinter ihr nach. Die Lampen flackerten und drohten auszugehen, aber im nächsten Moment war schon alles vorbei und das nächtliche Haus wieder still.
Alec hatte einen Schrei ausgestoßen, als das Ding durch ihn hindurchfuhr, und ich erschrak, als ich sah, wie er nach seinem Herzen griff. Es war aber nur ein momentaner Schreck gewesen. Gleich darauf hatte er sich wieder gefangen und stieg den Rest der Treppe herunter. „Wie haben Sie das drei Jahre lang ausgehalten?“, wandte er sich in einer Art mürrischer Bewunderung an Robert Junkarts.
Dieser zuckte die Achseln. „Das ist alles Gewohnheit. Anfangs hat es mich auch sehr erschreckt. Später hat es mich dann vor allem gestört, wenn mitten in der Nacht der Krach losging. Aber irgendwann habe ich ihn nicht einmal mehr gehört.“
„War das dieses Teufelsweib, von dem Sie uns erzählt haben? Warum rennt sie die Treppe hinunter?“
„Ich glaube, sie ist eine von den Nazis“, antwortete Junkarts.
„Welchen Nazis?“, fragte ich neugierig.
„Nun, das war ein deutsches Lazarett hier, und zumindest einige, wenn nicht alle Ärzte und Krankenschwestern waren Nazis. Es könnte gut sein, dass nach der Niederlage eine der Krankenschwestern bei Nacht und Nebel untertauchte, weil sie befürchten musste, von den Alliierten verhaftet zu werden.“
Alec nickte nachdenklich, dann verkündete er: „Okay. Wir reden besser jetzt gleich über die ganze Sache; hat ja keinen Sinn, das auf den Morgen zu verschieben.“ Er fixierte den Mann mit einem herausfordernden Blick. „Ich habe heute Nachmittag etwas erlebt, das meine Meinung stark beeinflusst hat. Im Übrigen möchte ich mich entschuldigen, dass ich Ihnen vorgeworfen habe, Sie wären geistesgestört.“
Robert Junkarts machte eine Handbewegung, die ‚geschenkt!‘ besagte, aber er sah doch sehr zufrieden aus, und ich musste daran denken, wie tief der unfreundliche Vorwurf ihn gekränkt hatte.
Alec ließ sich ohne jedes Zeremoniell auf der Bettcouch nieder, wobei er Decke und Kissen links und rechts beiseiteschob. „Setzen Sie sich“, wandte er sich an den Mieter. „Es wird etwas länger dauern. Sie müssen mir nämlich die ganze Geschichte noch einmal wiederkäuen. Ich möchte sie aus erster Hand hören.“
„Dann mache ich vorher besser eine Kanne Kaffee.“
Damit waren wir beide einverstanden. Eine Viertelstunde später hatte Junkarts den Kaffee aufgebrüht, und wir saßen ihm inmitten des papierenen Chaos gegenüber und hörten zu, wie er noch einmal alles erzählte. Alec unterbrach ihn kein einziges Mal, obwohl er gelegentlich vor sich hin brummelte.
„Ich habe mich ausführlich mit der Geschichte des Hauses beschäftigt“, erklärte Robert Junkarts und klopfte mit einer Hand auf den Monitor seines Computers. „Im Lauf der Jahre habe ich eine ziemlich umfangreiche Datei angelegt. Und eines ist jedenfalls statistisch nachweisbar: Das Haus hat mehr als das übliche Teil an Schicksalsschlägen erlebt. Dabei waren es weniger dramatische Ereignisse wie Morde oder Feuersbrünste, die sich hier abspielten, als ein unbestimmter negativer Einfluss. Nichts wollte unter diesem Dach so recht gedeihen, die Bewohner kränkelten, ihre Geschäfte gingen schlecht, Besucher empfanden einen eigentümlichen Widerwillen dagegen, sodass oft langjährige Kontakte abbrachen. Das Haus bringe Unglück, behaupteten die Leute. Wolfram Hartmann, der mit seinem Bestattungsinstitut in Konkurs ging, war nur der Letzte in einer langen Reihe von
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