Das Haus der Feuerfrau (German Edition)
sie, mir herauszusuchen, ob es irgendwelche Berichte über das Kriegslazarett in der Larabaya-Straße gab, und sie mir in meine alte Wohnung zu mailen.
Am späten Nachmittag waren die E-Mails da, komplett mit einem Anhang aus dem Zeitungsarchiv.
Ich öffnete sie eine nach der anderen und hatte „Schwester Magdas“ Steckbrief vor Augen.
Die meisten Informationen stammten aus einem Dokumentationsarchiv, das sich mit noch ungeklärten Verbrechen der NS-Zeit befasste. Solche Verbrechen waren in der Larabaya-Straße verübt worden, und zwar – vermutlich, denn Prozess und Verurteilung hatten nie stattgefunden – von einer Krankenschwester, die unter dem Namen Freya Bernseder firmierte, bei der es sich aber in Wirklichkeit um eine gebürtige Siebenbürgerin mit Namen Magda Gutzloff handelte. Der Grund für den Namenswechsel war, wie man später entdeckte, eine beachtliche Reihe von Vorstrafen wegen der verschiedensten Verbrechen gewesen, darunter Diebstahl, Betrug, Erbschleicherei und Misshandlung von Pflegebefohlenen. Die Frau, damals Mitte vierzig, hatte eine üble Karriere in jenen Kliniken gemacht, die sich dem Euthanasie-Programm der Nazis widmeten. Vermutlich wegen ihrer eifrigen Mitarbeit war ihr der Posten einer Leiterin des Lazaretts zuerkannt worden, wo sie weiterhin praktiziert hatte, was sie in ihrer bisherigen Laufbahn gelernt hatte. Die verwundeten Soldaten, die dort – blind, hirngeschädigt oder mit zerschossenen Armen und Beinen – eingeliefert wurden, waren gestorben wie die Fliegen.
Ob alle anderen Ärzte und Schwestern mit Schwester Magda eines Sinnes gewesen waren, war nicht mehr festzustellen gewesen. Vermutlich aber hatten sich zumindest einer oder zwei gegen sie gewandt, denn als die Alliierten vorrückten, hatten diese bereits einen detaillierten Steckbrief des Todesengels bei sich gehabt.
Schwester Magda war allerdings nie gefasst worden. Sie war kurz vor dem Eintreffen der ersten alliierten Truppen von der Bildfläche verschwunden, und man nahm an, dass es ihr wie so vielen anderen Nazi-Verbrechern auch gelungen war, sich nach Südamerika abzusetzen. Jedenfalls hatte man nie wieder von ihr gehört, obwohl sie ganz oben auf den Fahndungslisten verschiedener antifaschistischer Organisationen stand.
Diesen Ehrenplatz hatte ihr die unglaublich brutale Art eingetragen, mit der sie sich ihrer hilflosen Opfer entledigt hatte, und die Geldgier, mit der sie sich die wenigen Wertgegenstände – wie Eheringe und Halskettchen – angeeignet hatte, die die Verwundeten noch bei sich trugen. Es war sogar durchaus möglich, dass es ihr vorrangig darum gegangen war, die Verwundeten zu berauben, und sie ihnen „den Gnadentod hatte angedeihen lassen“, damit sich kein Geschrei erhob. Wie auch immer – insgesamt warf man ihr heimtückischen Mord in rund fünfunddreißig Fällen und das Quälen und Vernachlässigen von Hilflosen in ungezählten anderen Fällen vor. Kein Wunder, dachte ich, dass es mir eiskalt über den Rücken gelaufen war, als ich ihr Phantom dort bei der Hintertüre stehen gesehen hatte!
Ich fuhr mit dem Bus nach Hause. Wie schnell ich gelernt hatte, „das Totenhaus“ mein Zuhause zu nennen! Da der Tag jedoch wunderschön war, stieg ich zwei Stationen früher aus und ging zu Fuß den Hügel hinauf. Jetzt, wo alles grünte und blühte, sah ich erst, wie schön die Larabaya-Straße trotz ihres verblassten Glanzes immer noch war. Der Geruch von Immergrün und frischem Laub lag in der Luft, in einigen Gärten blühten ungepflegte und halb verwilderte Rosen. Blaue Clematis hing von verwitterten steinernen Balkonen. Da und dort blickte eine steinerne Sphinx oder ein Faun unter dem wuchernden Blattwerk hervor.
Als ich bei unserem neuen Heim anlangte, fand ich Robert Junkarts im Vordergarten am Werk, wo er im Rasen kniete und mit der Einsatzfreude eines wahren Gärtners Jagd auf den Löwenzahn machte. Er trug dabei ein Hemd mit kurzen Ärmeln, sodass ich seine Arme bis fast zur Schulter sehen konnte. Obwohl er, wie alle Rothaarigen, eine cremig helle Haut hatte, konnte ich deutlich erkennen, dass die unregelmäßigen weißen Flecken wie die Schmucknarben eines
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über beide Arme hinauf zu den Schultern liefen. Es waren sicher fünfzehn auf jeder Seite – dreißig Mal ein Schmerz, der das Herz stocken ließ und die Tränen aus den Augen trieb!
Als er mich entdeckte, sprang er auf und putzte sich verlegen die erdigen Hände an der Hose ab. „Entschuldigen Sie, dass ich da so in
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