Das Haus der glücklichen Alten
mich, als gäbe es in mir einen Abgrund, dem ich mich erschöpft entgegenschleppte, in der Hoffnung, ich könnte Laura irgendwann vergessen und mich hinabstürzen. Wenn es doch nur möglich wäre, mich umzubringen, dachte ich, während ich hier, ganz ohne Notbremse, unter Alten saß, die den Verstand verloren. Anständig wäre es, wenn jeder von uns eine Vorrichtung für den augenblicklichen Tod hätte, eine Vorrichtung, die uns für immer unwiederbringlich und ohne Gewissensbisse aus dem Dasein hinausbefördern könnte. Ich hielt tatsächlich Américos Hand fest, und er blieb noch eine Sekunde bei mir, und so meinte ich, dass sich meine Kräfte erschöpften. Ich hielt seine Hand, und diese Geste war ganz unbedeutend, doch gewaltig war die Energie, die sie schenkte, genügend groß, wie ich meinte, um durch diese ungeheure Wut mein idiotisches Herz bestrafen zu können, das im Widerstreit mit meinen qualvollen Gefühlen stets weiterschlug. Dann ließ Américo meine Hand los und sagte, Senhor Silva, machen Sie sich keine Sorgen, es wird Ihnen gutgehen. Ich beruhigte mich und bekam es satt, dass mir alle so etwas sagten, und ich wollte dringend etwas anderes hören. Sag mir nicht so was, Junge, rede mit mir vom Tod, vom Ende aller Stunden, erzähl mir, was du weißt darüber, wie man hier rauskommt, erzähl mir von jemandem, der es schon hinter sich hat, der schon herausgefunden hat, wie man sich das Leiden erspart. Hab Mitleid mit mir, Junge, und erzähl mir so etwas, therapiere mich nicht, sag nicht, ich würde morgen noch hier sein, morgen will ich nirgendwo sein, verstehst du das nicht? Und er antwortete, nicht weinen, Senhor Silva, Sie machen mir Angst. Und ich weinte, so durchsichtig wie kummervoll, und bat ihn, er möge Mitgefühl zeigen und mich festhalten, damit ich auch ja sitzen blieb, weil ich manchmal spürte, dass ich in einer plötzlichen Aufwallung aufspringen und jemandem, der vor mir auftauchte, weh tun könnte.
In meinen Albträumen stellte ich mir vor, ich läge in einem Zimmer des linken Flügels, ich würde, in die Bettwäsche sabbernd, zum Fenster hinausschauen und draußen Dutzende Geier am Himmel sehen. Die Sauerstoffmaske verschloss mir den Mund, und ich konnte nicht rufen. Ich wollte darum bitten, dass man die Fensterläden schloss, bevor mich die Vögel für tot hielten und ins Zimmer flögen. Plötzlich hackten sie auf mich ein, obwohl ich noch am Leben war, und selbst als ich überhaupt keinen Körper mehr hatte, verließ mich das Bewusstsein nicht. Ich war in Todeserwartung, glaubte, der Tod würde nicht vom Körper abhängen und er würde mich verurteilen, für alle Zeiten unter dieser Erwartung zu leiden. Der starre, schon zerstörte Körper und der Tod, der es nicht wahrnahm, der aus perverser, nie vorhergesehener Grausamkeit nicht tat, was ihm zukam.
In diesen Nächten wachte ich mehrmals auf, ohne gleich zu begreifen, wo ich war. Ich befühlte meine Brust und vergewisserte mich, dass alles noch dran war an mir. Sonderbar war nicht, dass der Albtraum mich aufschreckte, sondern dass das Licht, als ich die Bettlampe anknipste, wie ein Eindringling durch das Zimmer zuckte. Es war ein unklares Licht, das den Raum anscheinend zwingen musste, die Helligkeit aufzunehmen. Einmal hatte ich in dem Augenblick, als sich das Licht im Zimmer ausbreitete, die deutliche Vorstellung, die Fensterläden wären geöffnet und draußen flögen Vögel umher. Eine Sekunde lang sah ich die schwarzen Vögel, doch in der nächsten Sekunde schon waren die Fensterläden wieder zu und es war nicht mehr möglich, in den dunklen Nachthimmel zu schauen. Mit Mühe wollte ich aus dem Bett aufstehen, doch so lange, wie ich dafür brauchte, konnte ich nichts mehr zurückholen. Das Bild vor meinen Augen war verschwunden, und es war sinnlos, aufzustehen und die Hände an das Holz der Fensterläden zu legen – das würde mich nicht in den Moment davor versetzen, damit ich das Gesehene noch einmal erleben und verstehen könnte. Ich blickte mich unruhig um und wartete darauf, dass die Angst verschwand und ich wieder freier atmen konnte. Dann erst würde ich einschlafen, erschöpft und ohne zu merken, in welchem Augenblick ich wegsackte.
Américo kam herein. Ich sagte ihm guten Tag, und er antwortete mit denselben sympathischen Worten wie immer. Einmal mehr zeigte er mir, dass es draußen hell war. Ich fragte, waren die Fensterläden richtig zu gewesen?, ich glaube, nicht. Wie immer sagte er, Senhor Silva, haben Sie denn
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