Das Haus der glücklichen Alten
ersten Nacht war die Stille im Haus viel tiefer, als ich sie je im Leben empfunden hatte. Ich fand lange keinen Schlaf. Wieder presste ich die Hände zusammen, als wollte ich den verdammten Schalter an- und ausknipsen, damit ich entweder auf die Beine kommen und alles kaputtschlagen würde oder aber mich beruhigte und einschlief. Es war jetzt der unerträglichste Moment für mich, dort in einem Witwerbett, so vollständig anders, als ich bis vor vier Monaten zu schlafen gewohnt war. Es war jetzt der unerträglichste Moment für mich, ohne Laura, die mir sagte, das Hotel ist gut hier, das Bad ist sauber und es ist ganz nah bis zum Strand. Die Sonne tut dir gut, António, es wird dir bessergehen, damit du gut durch den Winter kommst. Es war beinahe Mitternacht, die Sonne hatte schon aufgehört, mich zu demütigen, und ich hörte diese Worte und dachte, ich bin nahe am Strand, das Wasser hier ist eiskalt, trotzdem würde ich gern tauchen, ins Meer eindringen wie in das Maul eines Haifischs, der mich mit einem Zuschnappen zurück in die altvertrauten Sommer brächte. Denn die Zeit hatte sich mir entzogen, und das konnte ich mir nicht ruhig eingestehen. Voller Wut hob ich die Hand und stieß die kleine Lampe hinunter, die auf dem Nachttisch stand. Niemand sah sich veranlasst, wegen des Krachs zu kommen. Aus den Nachbarzimmern war Knurren zu hören, aber nichts Ernsthaftes wohl, denn um diese Zeit herrschte Nachtruhe, und bei jedem missgelaunten Wortwechsel wartete man bis zum Morgen um sieben, um dann zu Ende zu zanken.
Der gute Américo kam, um mich zu wecken, er stellte fest, dass ich schon wach war, und sah mir die hinuntergefallene Lampe ohne Gardinenpredigt nach. Er trat auf Zehenspitzen ein, öffnete die Fensterläden und ließ das schon gleißend helle Licht herein, um mich dem Nachtdunkel zu entreißen. Er sagte ein paar Freundlichkeiten, die ich zunächst gar nicht hören wollte. Dann merkte ich, dass dieser junge Mann ein überaus selten anzutreffendes Taktgefühl bewies. Eine so große Feinfühligkeit, dass sie sich noch, obwohl er mich nicht kannte, als echte Zuneigung herausstellen könnte. Ich richtete mich auf, blieb noch im Bett, und er erwartete nicht, dass ich auf sein Gespräch einging. Er kannte sich wohl aus mit solch griesgrämigem Schweigen und erging sich in einem einfallsreichen Selbstgespräch, bei dem ich ihm zu antworten schien, ohne mich dabei zu einem Schwachsinnigen herabzuwürdigen oder gar zu einem Narren meiner Enkel. Er sagte, es sei Zeit, dass alles in die Gänge komme, im Haus gebe es vieles zu tun, Gemeinschaft stelle sich erst her, wenn man sich nützlich mache.
Américo hat keinerlei Schulabschluss außer der Bildung des Herzens. Aus Freundschaft und Mitgefühl hat er gelernt, wie man den anderen hilft. Er macht im Heim das, was auch die Krankenpfleger machen, dies aber mit einer Hingabe, wie man sie sich kaum vorstellen kann. Schon bei der ersten Begegnung war ich überzeugt, dass ich ihm gegenüber nicht als Heuchler auftreten durfte. Nicht ihm gegenüber. Der Grund für meine Entscheidung war ganz einfach. In der Hilfsbereitschaft dieses Mannes lag eine offenkundige Sublimierung, die wohl von einem tiefinnerlichen Schmerz herrührte. Ich prüfte mehrmals seinen Gesichtsausdruck, beobachtete seine Augen und war mir sicher, dieser Mann würde leiden um meinetwillen. Seine Miene zeigte ein Lächeln, das nichts Einfältiges an sich hatte und mich nie herabwürdigen würde. Ich stand auf und machte mich gleich fertig, damit ich schon gebadet und vollständig angezogen war, wenn ich zum Frühstück hinunterging. Nacheinander gingen die Türen der anderen Zimmer auf, und alle traten heraus. Sie rekelten sich und gähnten noch auf dem Weg zu den Fahrstühlen, die uns zu den Sälen im Erdgeschoss hinabbringen würden. Ich entschied mich aufs Neue für die Treppe und wollte kein Wort sagen. Ich dachte mir, wenn ich den Mund hielte, würde ich nicht so auffallen. Sie sollten denken, ich wäre überhaupt nicht da und würde nicht dazugehören. Ich war nur ein Fleck an den Wänden, der beim Saubermachen mit Lauge weggewischt werden musste.
3 Die Liebe ist eine vorübergehende,
aber weitverbreitete Dummheit
Ein Problem mit dem Altsein besteht darin, dass wir meinen, wir müssten noch manches lernen, während wir in Wirklichkeit nur noch alles verlernen, und es ist auch sinnvoll so, weil wir damit völlig ohne Bewusstsein sind, wenn uns das Verschwinden direkt bevorsteht. Das fehlende
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