Das Haus der glücklichen Alten
böse Alte drehte der Kriminalpolizei eine Nase. Und sie redeten auf Doktor Bernardo ein, er möge doch bitte schön ein vernünftiges Gespräch mit den Heiminsassen zustande bringen. Er wiegelte ab, es sei doch schon so viel Zeit vergangen, und die Leute hier seien wegen ihres Alters vergesslich, und es sei nur natürlich, dass sie mehr vergäßen als Jüngere. Senhor Pereira stieß mich an, als wolle er zum Ausdruck bringen, was wahr ist, ist wahr. Es stimmte, die glücklichen Alten waren daran interessiert, die loszuwerden, die gestorben waren, die nur noch an Maschinen angeschlossen waren und durch Schläuche ernährt wurden. Ich verlor die Geduld. Ich wusste nicht, ob ich sie anbrüllen sollte, damit sie endlich die Augen öffneten. Eines Tages, dachte ich, sortieren sie auch uns noch aus, um uns endgültig auszuräuchern.
Und Dona Leopoldina kam auf den Hof, und Senhor Pereira rief sie herbei und fragte sie, ob sie sich an unserem Vorhaben beteilige, diese zudringlichen Kerle zu verscheuchen. Sie aber hatte mit uns nichts am Hut und lehnte unser Freundschaftsangebot ab. Lassen Sie sich behandeln, lassen Sie sich behandeln, Sie Ferkel! Wir lachten, und sie kratzte sich immerzu am Hintern. Der Abend kühlte endlich ab, und das Heim geriet in eine widersinnig lebhafte Stimmung. Diese Alte bekommt noch Schwielen an den Händen vom ständigen Kratzen, sagte Anísio. He, Dona Leopoldina, lassen Sie die Sauerei, Sie sind wirklich ziemlich säuisch, rief er ihr zu. Was für ein Tohuwabohu! Die Polizisten und alle kamen angelaufen und wollten sehen, was da auf dem Hof los war. Alle bedrängten nun einander und sehnten sich nach einer energischen Tat. Ein paar lachten, hüstelten und hielten es fast nicht mehr aus, während Dona Leopoldina bei ihrer unappetitlichen Nummer blieb, und eigentlich wollten alle sie nur anstacheln, auf einen Schelmen anderthalbe zu setzen. Américo kam auf den Hof und schaute etwas dämlich aus der Wäsche, weil er seinen Augen nicht trauen wollte. He, Dona Leopoldina, rief er, haben Sie endgültig den Verstand verloren, was haben Sie bloß getrunken? Senhor Pereira antwortete, sie ist in Senhor Silva hier verliebt, das ist es, und prompt paradiert sie an ihm vorbei und zeigt sich in ihrer ganzen Pracht. Donnerwetter, die Alte schien geradezu Feuer aus den geblähten Nüstern zu sprühen. Plötzlich rang sie nach Luft, und es sah ganz so aus, als würden ihr ihre Wutanfälle gleich den Garaus machen. Ich hatte schon Angst, sie würde ihre albernen Späßchen noch so weit treiben, dass sie am Ende alle viere von sich streckte. Américo rannte zu ihr, packte sie und hielt sie fest. Mit der Hand fächelte sie sich Luft zu und wurde plötzlich vor Scham ganz rot im Gesicht. Nun lachten auch die Polizisten und tuschelten miteinander. Dass sie immer noch da waren, machte mir fast nichts mehr aus. Fast, nicht ganz, denn ich war schon drauf und dran, mich abzuducken, damit sie mich nicht mit noch mehr Fragen löcherten und womöglich in meinem griesgrämigen Wesen den Grund für die Schlechtigkeiten fänden, die uns die Wirklichkeit verderben. Blödmänner die, dachte ich, sehen grad so aus wie welche, die hinter jedes Geheimnis kommen. Fragt sich nur, ob man in einer Welt verschüchterter Alter mit ihren verworrenen Vorstellungen wirklich weiterkommt.
Inzwischen hatte Mythos Esteves seinen hundertsten Geburtstag hinter sich. Schon seit einiger Zeit sahen wir ihn nur noch selten. Seit man ihn aus seinem Zimmer geschoben hatte, hatte er sich zurückgezogen und beteiligte sich nicht mehr an Gesprächen. Er war vergnatzt. Sie hatten ihn in eines der Zimmer im Obergeschoss verlegt, mit Blick auf die Toten und mit einer Topfpflanze als Bettnachbarn, Senhor Medeiros. Der Ärmste war eine Reliquie des Heims, seit Jahrhunderten in seinem Schweigen vergraben. Man wusste nicht, was er wohl denken mochte den ganzen Tag, alle Tage, wenn er, auf der linken Schulter liegend, die Augen fest auf die Eingangstür richtete, als wolle er das Jenseits oder eigentlich gar nichts mehr sehen. Wir gingen hoch, um es uns anschauen, und verstanden, welche Welten die trennten, die wie wir noch in den Zimmern auf der Gartenseite wohnten, und die, die ans Ende des Korridors abgeschoben waren, wofür Senhor Medeiros ein typisches Beispiel war. Américo sagte, kriegt keinen Schreck, kommt rein. Der hier bekommt nichts mehr mit, sein Gehirn ist ausgeknipst, er sieht vermutlich alles so, als hätte er ein paar nette Zigaretten
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