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Das Haus der glücklichen Alten

Das Haus der glücklichen Alten

Titel: Das Haus der glücklichen Alten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Valter Hugo Mae
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wir alle seien, ja, wirklich. Und ich, ich bete Amália tatsächlich immer noch an und höre sie, bis mir die Tränen kommen, wenn es sein muss. Wenn ich ein einziges portugiesisches Menschlein auswählen sollte, das ins Paradies kommen dürfte, würde ich vielleicht wollen, dass sie es wäre, damit diese Stimme tatsächlich für immer erklinge. Die größte Stimme des Unglücks und der Täuschung der Portugiesen. Schade, dass es kein Paradies gibt und dass es keine Amália mehr gibt und dass es hier mehr als genug Unglück und Täuschung gegeben hat.
    Ich konnte die ganze Nacht damals nicht schlafen, ich dachte daran, wie der versteckte Mann darauf wartete, dass ich unbemerkt zurückkehren würde. In der Nacht konnte ich nicht hin. Was wäre, wenn mir die PIDE-Leute auflauerten?, und was würde Laura sagen? Oder sollte ich sie glauben machen, ich hätte etwas im Laden vergessen? Wo doch alles, was dort war, dort auch bleiben musste. Es gab keinen Vorwand, unter dem ich noch mal auf die Straße gehen könnte. Die ganze Nacht ging mir durch den Kopf, was wäre, wenn der Kerl dümmer wäre, als er aussah, und versuchen würde, vorzeitig auszureißen. Er konnte die Tür aufbrechen oder nach einem Schlüssel suchen oder, noch schlimmer, er konnte ein Fenster einschlagen, um seine Haut zu retten, damit aber unbestreitbar mich ans Messer liefern. Die ganze Nacht grübelte ich, bis ich dann am Morgen zur normalen Zeit meinen Laden betreten konnte, wie wenn nichts wäre, und den Hut ablegte, als ob nichts wäre, und in die Abstellkammer ging, wie wenn nichts wäre, und den Mann still, dankbar und ruhiger vor mir sah, nur mit dem Blick eines Menschen, der geschwächt war und zu essen und zu trinken brauchte. Ich sagte guten Morgen. Mit einem guten Morgen begrüßte ich jemanden, der für das Regime ein Verbrecher war, und besiegelte damit ein Verbrechen, das nun auch ich beging. Ich half dem Teufel. Natürlich war ich erschrocken über mich. Aber wenigstens einmal, wenigstens dort, würde ich über den erbärmlichen Zustand des rückgratlosen Menschen hinauskommen, der ich gewesen war, und würde die in mich gesetzten Erwartungen übertreffen. Einen Stolz entwickeln, mehr als nur Portugiese zu sein, nicht nur für die Portugiesen dazusein, sondern für die Menschen, für alle Menschen, die naturgemäß auf die verschiedenste Weise denken können, und nur so sollte es sein.
    Er war tatsächlich noch ein junger Mann. Er war einundzwanzig und wusste vielleicht noch nicht so recht, was das Leben war oder sein sollte. Ich hätte es ihm nicht erklären können. Eher war ich mit der Zeit von allem enttäuscht, als dass ich Wahlmöglichkeiten gesehen oder für mich selbst den Platz für ein sinnvolles Leben gefunden hätte. Insbesondere wusste ich, dass alles um mich zunehmend verblasste und zur Bürde wurde, die mich dazu brachte, mich immer tiefer einzugraben und keinen Widerstand mehr zu leisten. Ich fragte ihn, und wie willst du jetzt fliehen? Er sagte, die wissen nicht, wer ich bin. Sie haben mein Gesicht nicht gesehen. Ich gehe nach Hause. Ich will studieren. Ich schwieg, und er setzte hinzu, es kommt hier wirklich bald zur Explosion. Man hat ein Mädchen ermordet, wussten Sie das?, fragte er. Die bringen immer mehr Menschen um, aber bald knallt es hier. Das Volk muss frei sein, Senhor, das Volk muss Frieden haben. Und ich sagte ihm, ich schneide dir jetzt die Haare. Du gehst hier mit neuer Frisur und neuem Gesicht raus. Wer dich rauskommen sieht, wird wissen, warum du so früh am Morgen hier warst. Zum Haareschneiden, sagte er. Wie die Beatles. Ich mache dir eine Frisur wie die Beatles, damit du lernst, mich nicht wieder zu erschrecken. Er setzte sich auf einen Stuhl, und ich schaltete das normale Licht an. Ein gewöhnlicher Tag begann. Ein Tag wie jeder andere. Er war Beatles-Fan. Er wollte hinaus in die Welt. Sich angucken, wie es woanders war. Wir waren noch allein, und ich konnte ihn fragen, glaubst du, das bricht hier zusammen? Er lächelte, das bricht bald zusammen. Ich machte das Radio an und sehnte mich mit Riesenungeduld danach, dass das hier zusammenbricht, selbst wenn ich dann mit leeren Händen dastehen würde und vieles überdenken müsste, um wieder auf die Beine zu kommen.
    Vielleicht habe ich dem Jungen damals das Leben gerettet. Ich habe ihn danach noch oft gesehen, als er seinen Doktor machte, vorsichtiger geworden in seinem Widerstand gegen die Kriminalpolizei. Er kam zum Haareschneiden, und wenn Gelegenheit

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