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Das Haus der glücklichen Alten

Das Haus der glücklichen Alten

Titel: Das Haus der glücklichen Alten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Valter Hugo Mae
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brüllen, auch wenn ich übertrieben hätte und Schwachsinn vom Stapel gelassen hätte, nur um des Vergnügens willen, es sagen zu dürfen und selber beurteilen zu dürfen, was ich beurteilen will. In meinem Frisörladen. Wenigstens in meinem Frisörladen. Wenigstens bei mir zu Hause. Bei mir zu Hause und ohne Maulkorb. Er ist ein Schwein.
    Es war schon nach zweiundzwanzig Uhr, als Esteves in mein Zimmer kam. Ich schlief noch nicht, weil mir das Herz unaufhörlich sagte, dass irgendetwas im Gange war. Es war eine Vorahnung, die ich von Laura geerbt hatte. Wenn sie dachte, dass etwas nicht stimmte, konnte sie ihre Gedanken nicht mehr davon losreißen, und sie grübelte ganze Stunden darüber nach, in der Hoffnung, es herauszufinden, bis sie vor Erschöpfung darüber einschlief. Aber in dieser Nacht hätte Laura gesagt, siehst du, ich habe es geahnt! Esteves klopfte nämlich leise an die Tür und öffnete sie. Ich machte die Lampe an und erkannte ihn, wobei ich beinahe schon vorher wusste, wer es war. Menschenskind, Esteves, was ist los mit Ihnen? Er lehnte die Tür an, kam zu mir und setzte sich an den Bettrand. Er war müde und dem Weinen nahe. Ich kann dort nicht schlafen. Dieser Mann stöhnt mehr als je zuvor, und ich habe schon Visionen. Ich glaube jetzt, Senhor Silva, dass es Maschinen gibt, die uns die Metaphysik rauben, wissen Sie, mein Kopf ist schon ganz durcheinander, solche Maschinen gibt es nämlich nicht, es gibt sie gar nicht. Ich hatte mich schon aufgesetzt und sah ihm in die Augen, als ich sagte, nein, Esteves, Sie sind bloß müde, Sie hatten heute Ihren hundertsten Geburtstag. Da ist es nur natürlich, dass Sie müde sind. Er erklärte, anscheinend will man mir die Metaphysik rauben, damit man mich dann begraben kann, ganz wie es dem Gedicht entspricht, verstehen Sie? Damit man mich zwingt, Fernando Pessoa zu respektieren. Bei der Entscheidung zwischen mir und dem großen Dichter wird man natürlich dem anderen den Vorrang geben. Ich kann nur verlieren. Was werden die Leute später sagen, wenn sie herausfinden, dass der unmetaphysische Esteves eigentlich voller Metaphysik war? Für einen Dichter ist es eine Schande, wenn er gelogen und meinen Charakter vorschnell beurteilt hat. Sie wollen mich als Statue benutzen. Sie rauben mir die Metaphysik, bekleckern mich mit Zement und stellen mich vor das Café A Brasileira, damit mich die Touristen fotografieren können, und ich werde an nichts denken, ich werde ruhig bleiben und mich gut benehmen, so wie sie es haben wollen. Ich sagte, nein, aber nein doch, Esteves, so etwas gibt es nicht, und es gibt auch nicht solche Maschinen, und Figuren stellt man nicht so her, indem man auf die Haut der Menschen etwas draufmacht. Er betonte noch mal, die Haut der Toten, zuerst rauben sie mir die Metaphysik, dann töten sie mich, und erst zum Schluss machen sie die Figur, durch die Touristen bringt das viel Geld, Fernando Pessoa sitzt da schon, haben Sie das nicht gesehen?, er sitzt auf einer Bank, und die Leute setzen sich alle zu ihm, lassen sich mit ihm fotografieren und wissen nicht, dass man ihn umgebracht hat, um ihn da hinzustellen. Ich will nicht jemand sein, verstehen Sie, Senhor Silva, ich will niemandem bekannt sein, ich will in Ruhe gelassen werde, wenn ich sterbe. Und ich sagte ihm, ach, Esteves, niemand wird Sie jemals stören, alle haben Sie gern. Und keiner will Sie umbringen. Und er schüttelte den Kopf und sagte, Medeiros hat heute gewimmert, du Hurensohn, stirb, du Hurensohn. Senhor Silva, Medeiros hat gestöhnt und gesprochen, er hat richtig gesprochen, du Hurensohn, du wirst sterben, du Hurensohn, stirb, und eine ganze Weile ging das so weiter. Er gibt keine Ruhe. Ich, ich gerate ganz durcheinander und kann nicht klar denken, und so ist es leichter, dass sie mir etwas antun, wozu sie vielleicht Lust haben, und wenn ich dann ohne Bewusstsein bin, kommt es bestimmt dazu, dass sie mich umbringen. Sie werden mich umbringen, Senhor Silva, bald werden sie mich umbringen.
    Ich würde nie zu ihm hochgehen, um etwas nachzuprüfen. Es machte mir Angst, dass der andere mit dem bohrenden Blick fluchte. Nicht auch noch das. Das hieße ja, dem Tod ins Gesicht zu schauen, wie er mit uns sprach, und so, so wollten wir ihn nicht haben. Schreckenerregend. Ich rückte sofort in eine Ecke des schmalen Bettes, rutschte ans Ende und lehnte schon beinahe an der Wand. Ich sagte, legen Sie sich hier hin, Esteves, legen Sie sich hin. Wir wollen schlafen. Esteves äußerte

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