Das Haus der glücklichen Alten
sich nicht noch schlimmer gedemütigt. Doktor Bernardo sagte zu mir, in der Nacht habe sich Senhor Pereira von der Toten heimgesucht gefühlt, als wollte sie ihn fragen, was zum Teufel er in ihrem Bett treibe. Sie sei in dem kleinen Zimmer hin und her gelaufen und habe geseufzt und ihr Unglück beklagt, da sie sich von allen verstoßen glaubte. Dona Marta sei in Tränen ausgebrochen, weil sie schon begriffen hätte, dass ihr Ehemann sie vergessen hatte. Senhor Pereira habe noch versucht, mit ihr ein Gespräch anzuknüpfen, doch an Konkretem habe ihm die Alte lediglich gesagt, und zwar direkt auf den Kopf zu, wie im Auftrag einer höheren Gewalt, dass es für jeden einen Tod gebe. In Reih und Glied aufgestellt wie bei der Truppenparade, stolz und stramm, um denjenigen, der ihm zufalle, im richtigen Augenblick zu packen. Alles in allem sei der Tod die am besten organisierte Institution. Die zwar viel um die Ohren habe, darunter viel Kleinkram, aber hoch kompetent und treffsicher.
Esteves war eine Fieberphantasie, Doktor Bernardo. Was war ich dumm zu glauben, er sei eine Figur, die bei Pessoa vorkommt. Fiktiver als diese Figur geht fast gar nicht. Das war reine Phantasie, und ich bin nur darauf reingefallen, weil ich unbedingt etwas finden wollte, woran ich mich festhalten konnte. An diesem Morgen bin ich auf den Friedhof gegangen, um nach Lauras Grabstein zu sehen, einem ebenso kalten Stein, wie die anderen ihn haben, und er sagte mir nichts. Ich verbrachte mehr Zeit damit, mir die Fotos auf den benachbarten Grabfeldern anzusehen. Um Leute wiederzuerkennen, die ich seit ihrer Kindheit nicht mehr gesehen hatte. Doktor Bernardo lächelte und hätte mir beinahe etwas Freundliches gesagt. Er lächelte immerzu, als wäre er mit etwas zufrieden, und dann sagte er, Senhor Silva, wundern Sie sich nicht, es ist nur Ihr Menschsein, das da hervorkommt, und vielleicht haben Sie es seit langem mit Denkverboten und Ablenkungen verdrossen, jetzt sehe ich Sie deutlicher als je zuvor, mit Ihren Widersprüchen und kleinen Sünden. Sie sind ein guter Mensch. Das sind Sie. Das hörte sich in meinen Ohren nach einer gewaltigen Niederlage an. Nach einer so maßlosen Niederlage, dass ich nicht imstande war, mich selbst zu zerstören, nicht einmal in dem Augenblick, in dem ich mich von einem anderen Menschen völlig durchschaut fühlte.
Ich setzte mich auf Lauras Stein, und ich hatte nicht im Geringsten das Gefühl, dass sie dort meine Gegenwart spürte. Ihre Gegenwart jedenfalls spürte ich nicht. Da gab es nichts, was das Gefühl wiederbelebt hätte, meine Frau ließe sich noch einmal anrühren. Kein eigentümlicher Lufthauch, kein unheilverkündendes Geräusch, irgendetwas, das ich als Bestätigung aus dem Jenseits für das ewige Leben oder, noch besser, als Lauras ewiges Leben hätte missverstehen können. Hätte sie mich an diesem Ort sehen können, sie hätte glauben müssen, ein wilder Affe habe mich gebissen, dass ich auf dem Friedhof nach Vertrautheit mit der Zukunft suchte. Hätte sie zu mir reden können, sie hätte mich hochkant aus dem Friedhof geworfen, damit ich Aufgaben übernähme, die von Wert für die Lebenden sind, anstatt die Zeit mit dem Tod zu vergeuden. Und trotzdem, es hatte einen Sinn bekommen, diesen Ort aufzusuchen, seit einiger Zeit sogar immer mehr. Etwas in diesem stets gleichbleibenden Schweigen hatte mit einem alten Mann zu tun wie mir, den das vorweggenommene Wissen beständig quälte, welche Leiden ihn am nächsten Tag erwarteten. Nach Lauras Tod hatten sich meine Ziele beschleunigt. Es waren gar keine Ziele mehr, sondern nur die Eile, zum Ende zu kommen. Ich wollte selber Mahlzeit sein, ich wollte aufgefressen werden von dem hartschaligen Ungeziefer, das sich durch das Holz des Sarges bohrt und sich seinen Weg durch den Spitzenbesatz des feuchten, blumengemusterten Stoffes bahnt, der den Leichnam umhüllt. Doktor Bernardo bestand darauf, ich solle Senhor Pereira entgegenkommen. Sie werden sehen, Sie werden beide neuen Mut schöpfen. Ich antwortete, wenn wir neuen Mut schöpfen, befreien wir uns nie von diesem Dasein hier, ich grüble nämlich seit langem schon, wie ich mich verdünnisieren kann. Ich werde nichts tun, um das Warten noch weiter zu verlängern. Doktor Bernardo, Esteves hat mich zum Narren gehalten, der Dreckskerl, wie ein kleines Kind habe ich mich mit Mickymaus unterhalten, aber wie Sie wissen, gibt es in Wirklichkeit keinen Mickymaus. Mäuse reden nicht. Das gibt es nicht. Er erhob sich,
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