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Das Haus der glücklichen Alten

Das Haus der glücklichen Alten

Titel: Das Haus der glücklichen Alten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Valter Hugo Mae
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um mich zur Tür zu bringen, als ich schon aufgestanden und schon fast draußen war, und widersprach mir, vieles von dem, was es nicht gibt, gehört mit zum Wichtigsten im Leben. Missachten Sie nichts, Senhor Silva, halten Sie, wenn es gut für Sie ist, an einem Phantasiegebilde fest, denn in der Wirklichkeit sind es tatsächlich die lebendigsten Augenblicke, in denen wir ihr hin und wieder entfliehen.
    Nach kurzem Anklopfen trat ich in Dona Martas ehemaliges Zimmer. Wie ein Autist saß Senhor Pereira auf dem Stuhl, fern von jedem Gedanken. Es war nichts Endgültiges, sondern ein geringfügiges, leichtes Leiden, wie eine ernstliche Verstimmung, die sich aber geben konnte. Caramba, Senhor Pereira, jetzt, wo wir Esteves nicht mehr haben, müssen wir Geschichten erfinden, weil die große Geschichte schon vorbei ist. Er reagierte nicht. Sagte kein Wort. Wichtig war aber festzustellen, ob er meine Anwesenheit ahnte, und er blickte einen kurzen Moment auf und musterte mein Gesicht. Dann fügte ich hinzu, ich habe mich mit Doktor Bernardo unterhalten, und er hat mich nicht davon abbringen können, gegenüber Esteves’ Geschichten ein gesundes Misstrauen zu hegen, es bleibt also mir überlassen. Wenn ich unbedingt will, kann ich es glauben, dass er tatsächlich derjenige war, von dem sich Fernando Pessoa inspirieren ließ. Ich, ich halte es für anständig und demokratisch, dass es jedem Einzelnen überlassen bleibt, wie er in einer solchen Angelegenheit entscheidet. Ich entscheide, und ich muss Ihnen sagen, ich denke seit Tagen daran, dass Esteves ein ordentlicher Mensch war und uns die Wahrheit gesagt hat. So entscheide ich, Senhor Pereira, weil ich lieber nicht mein restliches Leben mit der Vorstellung zubringen möchte, dass ich keinen derart unglaublichen Menschen wie Esteves kennengelernt habe und dass ich nur ein einfältiger Trottel war. Und Sie, Senhor Pereira, Sie müssen aufstehen und mir helfen, diesen begriffsstutzigen Senhor Cristiano und sogar Anísio zu überzeugen, der seine Nase fast nur in Bücher über alte Geschichte steckt und langsam glaubt, wir hätten ihm ein Lügenmärchen aufgetischt. Hören Sie, scheißen müssen wir alle, und wenn uns wer auf die Nerven geht, scheißen wir alle beide, wir scheißen auf ihn. Senhor Pereira brach in Tränen aus. Ein steinharter Tränenstrom, er weinte wie ein Stein, aber die Tränen auf seiner Haut waren deutlich zu sehen. Sie stießen an die Lippenlinie, wo sie innehielten. Wir schwiegen beide eine Weile. Ich hatte mich aufs Bett gesetzt und erinnerte mich daran, wie ich schon einmal hier gesessen hatte. Das erste Mal, als ich wirklich hereingekommen war, um Dona Marta die drei Schläge zu versetzen, die sie zum Schweigen brachten, und das zweite Mal, als es gar nicht stimmte, dass ich eingedrungen sei, um sie mit einem Buch totzuschlagen. Zwischen Wirklichkeit und Phantasie entschied ich vieles und drängte abermals, Senhor Pereira, ohne Sie ist das noch schwerer, und draußen scheint die Sonne heute so unglaublich schön, wissen Sie noch, wie uns das früher gereizt hat, um herumzublödeln und zu kichern? Anísio hat mich gebeten, ich soll ihn rufen, falls ich Sie überzeugen kann, wieder auf den Hof zu kommen. Wenn Sie auf den Hof kommen, Senhor Pereira, bin ich auch dort, und ich nehme an, ich verstehe, wozu das Leben mit fünfundachtzig Jahren noch gut ist, nach dem, was ich verloren habe. Kommen Sie mit. Los, raus an die frische Luft!
    Ich sah den Jungen, den ich der politischen Polizei ausgeliefert hatte, nicht wieder. Jetzt, als alter Mann, kann ich es mir klarer vorstellen und mir ein tragisches Bild von seiner Ermordung machen. Von einem Menschen wie ihm hätte man wieder gehört, wenn er noch lebte. Nur der Tod würde ihn der demokratischen Zukunft des Landes vorenthalten. Jetzt weiß ich genau, dass ich ihn mit Kopf und Kragen ans Messer geliefert habe, ohne Wiederkehr, und wenn ich keine Schuldgefühle und Gewissensbisse empfand, so deshalb, weil das Leben nun einmal so war, es war nun einmal so, und ich und meine Laura hatten es als gerade Linie erlebt, als ein immer wieder zutreffendes Urteil. Als er sich auf den Stuhl in meinem Laden setzte und mir fast zehn Jahre lang die sehnsüchtigen Pläne der linken Kräfte anvertraute, hörte ich ihm mit der ehrlichen Begeisterung eines Mannes zu, der mit feigen Mitteln zu neuem Leben erwachte, der mit fremdem Schwanz zum Orgasmus gelangte, wie jemand, der sich nur dann rühmte, mit dabei gewesen zu sein,

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