Das Haus der glücklichen Alten
festzusitzen, und würde langsam weiter hinunterrutschen, bis es an der Lunge hängen bliebe, immer noch nicht festsitzend, und langsam weiter zu den Gedärmen rutscht, und unterwegs, was für ein schweinischer Weg, was für Ideen!, unterwegs müsste ich dafür sorgen, dass das Herz seinen Schlag verlangsamt und die Liebe verlernt, wie ich auch dafür sorgen müsste, dass die Lunge es nicht länger hinnimmt, von der Materie und vom Überfluss der Welt zum Fliegen verführt zu werden, und was bliebe dann übrig von den Eingeweiden, mit dem daraufliegenden Gehirn beschwert, einem kummervollen Gehirn fern von zu Hause, voller Kummer? Ich dachte, das Alter ist ein abstürzendes Gehirn, und ich fühlte, dass meine Ideen abstürzten, sie verschwanden, und die klaren, hellen Dinge verdunkelten sich, und ich brachte keinerlei Logik mehr hinein in das, was stets als Thermostat mein Fieber reguliert hatte. Ich bekam einen heißen Kopf, und der Schweiß bahnte sich seinen Weg durch die Haut. Ich bekam es mit der Angst bei dem Gedanken, dass ich die arme, alte Marta umgebracht hatte. Eine arme Alte, die dort aus Liebe gestorben war, und sonst nichts. Dann verkroch ich mich unter der Bettdecke und wollte von nichts mehr wissen. Ich musste diese Albträume unter allen Umständen loswerden. Ich streckte die Hand aus dem Bett, nur die Hand, tastete den Nachttisch ab und griff nach Mariechen. Ich drückte sie an meine Brust. Ich wollte nicht allein sein. Das Täubchen, das bisher noch sicher, mit Klebeband befestigt, auf der Schulter der Statuette gesessen hatte, löste sich ab und verlor sich in den Falten der Bettwäsche. Es entschwebte irgendwohin, während der Himmel bedeckt war, ohne dass es fliegen konnte. Ich schlief ein. Ich versank in Schlaf wie in Treibsand. Ich spürte, dass mein Kopf ständig weiter ins Kissen einsank, und verlor das Bewusstsein, endlich ein paar gute und beruhigende Stunden lang durch die Wohltat des Schlafs befreit.
Am fünfundzwanzigsten September neunzehnhunderteinundsiebzig, einem Samstag, drangen die PIDE-Männer um elf Uhr morgens in den Frisörladen ein und nahmen den Jungen mit, der mittlerweile ein Mann Anfang dreißig war. Sie nahmen ihn mit, ohne Fragen, ohne Chaos. Sie umstellten mich, ohne mich anzurühren. Sie sagten kein Wort zu mir. Es gab keinen Zweifel, und Erklärungen waren nicht nötig. Der junge Mann stand auf, als hätte er gewusst, dass dies irgendwann geschehen würde. Er konnte nicht sicher sein, dass ich ihn angezeigt hatte. Er konnte nicht sicher sein, dass ich es getan hatte. Der Widerstandskampf hatte so lange gedauert, man hatte so viele Spuren hinterlassen, dass alles Mögliche dazu geführt haben mochte, ihn unter den Millionen von Staatsbürgern aufzuspüren. Als er hinausging, beschützte er mich. Er verriet nicht das geringste Mitgefühl oder Einvernehmen mit mir. Er sprach meinen Namen nicht aus und bat um nichts. Er ließ sich mitnehmen, als wäre er ein Unbekannter, der in der einzigen Absicht dort hineingekommen war, sich die Haare schneiden zu lassen. Ich hatte ihn drei Tage zuvor angezeigt. Die PIDES hatten Laura ausgefragt, die nicht die geringste Ahnung hatte, und sie fanden, dass in unserer Familie etwas faul sein musste. Sie erwischten mich, als ich nach Hause kam, und sie kamen auf einen Kaffee und zu einer mehrstündigen Vernehmung herein. Ich hatte keine Informationen. Ich war bloß ein Frisör, und so viel man auch in einem Frisörsalon schwatzt, man redet doch immer nur von Fußball, schönen Frauen und Krankheiten. Und dann fingen sie wieder mit ihrer Sache an. Sie wurden ganz konkret. Sie erklärten, ein Kunde von mir betätige sich im Widerstand, er gehöre zu einer militanten Oppositionsgruppe. Die gebe Waffen an Kriminelle weiter und gefährde die öffentliche Ordnung, die man schützen müsse. Sie ritten immer weiter darauf herum. Nach einiger Zeit begriff ich, dass sie mir nicht misstrauten, und ich freute mich über meine feige, vorsichtige Haltung, die mich keinerlei Propagandamaterial im Laden dulden ließ. Darum fühlte ich mich sicher und stimmte einer Zusammenarbeit mit ihnen zu. Ich ging die Kunden durch. Einen nach dem andern, als wollte ich mich an einen erinnern, auf den die Beschreibung passte. Ich wusste, ich würde zu diesem Jungen kommen müssen, und wenn ich den Verdacht auf ihn lenkte, würden sie erfahren, was ihnen noch fehlte, um ihn zu anzuklagen. Das tat ich. Als Erstes sagte ich seinen Namen. Dann beschrieb ich kurz sein
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