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Das Haus der glücklichen Alten

Das Haus der glücklichen Alten

Titel: Das Haus der glücklichen Alten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Valter Hugo Mae
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wenn er die wahren Ruhmestaten auf der Straße geschehen sah. Der sich zu Unrecht aneignete, was ihm nicht gehörte. Ich eignete mir die Begeisterung des Jungen an, ich behielt die Genugtuung für mich, dass etwas gegen die Unterdrückung getan wurde, als hätte ich selbst etwas gegen die Unterdrückung getan, etwas mehr, als bewusst jemandem die Haare zu schneiden, der sich weigerte, klein beizugeben und nach der Norm zu leben, die sie uns allen aufzwingen wollten. Ich schnitt ihm die Haare, und das war mir genug als mutige Tat. Es ist also nicht verwunderlich, dass ich zwar einerseits glaubte, ich sei ein guter Mensch, aber andererseits durchaus Einsicht hatte in die Schattenseite meines Charakters und in meinen Wunsch, den bohrenden Blick der politischen Polizei von mir abzulenken. Als ich ihn ans Messer lieferte, habe ich nicht gezögert, das ist wahr. Ich habe mir Zeit gelassen und um den heißen Brei herumgeredet, damit nicht klar herauskam, dass ich Bescheid wusste über die Verwicklung des Jungen mit der verbotenen Linken, aber das war nur eine sorgfältige Inszenierung, um, wenn es darauf ankam, meine Haut zu retten. Dann, zum richtigen Zeitpunkt, lieferte ich ihn aus, wobei ich fast eine Hochstimmung in mir fühlte, die ich unterdrücken musste, eine Hochstimmung, weil ich es geschafft hatte, diese gewieften Polizisten auf die Spur zu lenken, die ich ihnen gelegt hatte, ohne Verdacht zu erregen, und das todsicher. Ich erklärte ihnen, Samstag sei der richtige Tag, um ihn zu sehen. Fast so sicher, wie etwas nur sein konnte. Der PIDE-Mann hielt mir ein Foto des Jungen hin und sagte, wir haben diesen Kerl schon seit langem im Auge, wir riechen hier fast seine perversen, schweinischen, staatsfeindlichen Triebe. Wenn Sie, Senhor Silva, mir sagen, dass er Propagandareden gehalten hat, sperren wir ihn weg. Ich hielt dagegen, und dann beschuldigt man mich, dass ich ihn angezeigt habe. Ich kann den Frisörladen nicht offen halten, wenn man erfährt, dass ich jemanden ans Messer geliefert habe. Der Mann wurde wütend und schrie mich an, alle Bürger hätten die Pflicht, bei der Beseitigung solcher gefährlicher Elemente mitzuarbeiten. Ich nickte. Es gehe nur darum, dass ich anderen linken Individuen, die sich rächen wollten, als Zielscheibe und Opfer dienen könnte. Er blickte in die erschrockenen Augen Lauras, und sie erklärte, dass wir keinerlei Verbindungen zu irgendeiner Bewegung hätten, dass wir untadelige und anständige Staatsbürger seien und dass man von unserer Familie nur Tugend und Arbeit erwarten könne. Laura stand da, nahe bei der Küchentür. Sie legte die Hände an den Mund und ließ ein paar Jammerlaute vernehmen. Der PIDE-Mann wich zurück und erklärte, das wissen wir auch, werte Frau, sogar das wissen wir. Ich ließ nicht locker. Dieser Mann hat zweimal etwas gesagt, was ich für verdächtig hielt. Nicht dass er Propaganda macht, wie Sie sagen, aber bei kurzen Gesprächen, wobei er eigentlich nichts für Gespräche übrig hat, wirkt er manchmal irgendwie verbittert, als beklage er sich. Er scheint verstimmt, nicht angepasst, nur das. Der Polizist trat an mich heran. Er hielt das Foto des Jungen immer noch hoch, ohne zu zittern. Er fragte, Senhor Silva, meinen Sie, dass dieser Mann eine Gefahr für die Nation ist? Ich antwortete, ja, ich meine schon, mehr aus dem Bauch heraus, als dass ich mir da sicher wäre. Ich meine: ja. Dieser Mann ist eine Gefahr für Sicherheit und Frieden unserer Nation, Senhor Polizist.
    Ich habe ihn nie wiedergesehen. Dann, mit dem fünfundzwanzigsten April neunzehnhundertvierundsiebzig, nur drei Jahre später, hätte der Junge bei mir auftauchen und erzählen müssen, was geschehen war, und ich hätte verstanden. Ich habe nie ein Wort gehört davon, was ihm die Polizisten danach gesagt haben. Wie sie Begründungen und Beweise lieferten, um ihn einzusperren. Ich habe ihn nie wiedergesehen. Und so ein blutjunger Mann, mit einer Karriere vor sich, um mal bedeutend zu werden, der hätte nach der Befreiung auffallen müssen. Leute wie er machten ihren Weg. Aber wenn es nicht dazu kam, dann, weil sie ihn umgebracht hatten, und ich weiß, zweifellos, sie haben ihn umgebracht, so ruhelos und unbezähmbar, wie er war, er wird gelitten haben, weil er glaubte, das Vaterland würde sich seiner dafür erinnern, ihn ehren und dafür sorgen, dass es sich gelohnt hat, sein Leben mit dreißig Jahren zu beenden, ohne dass er erfahren hatte, wie weit die Welt ist, wenn man nicht mehr

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