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Das Haus der glücklichen Alten

Das Haus der glücklichen Alten

Titel: Das Haus der glücklichen Alten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Valter Hugo Mae
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interessieren. Senhor Pereira stimmte zu, doch ihn interessierten das Haus und die Papiere weniger, es ging ihm nur darum, dass ihn seine Kinder völlig verlassen hatten. Wenn sie sich melden, erwartet er nie etwas Neues. Dann müssten sie herausbekommen, wo etwas aufbewahrt sei, woran sie sich plötzlich erinnert hätten. Nun, da man sie informiert hat, dass Senhor Pereira Prostatakrebs hat, haben sie das bedauert und versprochen, am Samstag zu kommen. Sie hatten ihr Bedauern geäußert und sich erleichtert gefühlt, als sie erfuhren, dass sich Krebs im Alter nur langsam entwickelt und dass der Patient mit größerer Wahrscheinlichkeit an irgendeiner anderen Komplikation stirbt. Was für eine große Erleichterung, was für ein Glück, dass er einen derart trägen Krebs abbekommen hat, der nicht einmal kräftig genug durchgreift, um ihn rechtzeitig zu erledigen. Und was für ein Witz. Der europäische Silva beruhigte sich. Diese Sache machte uns alle fertig und hilflos. Wir hörten auf. Wir konnten beobachten, was die anderen Alten taten und sagten. Wir beobachteten und fühlten uns weit entfernt und gleichzeitig wie mit Ketten gebunden. Verdammt, dieses Gefühl einer schrecklichen Machtlosigkeit, dass wir still auf stillen Stühlen saßen, vom Alter und von den Krankheiten brutal erwischt wurden, außerdem von diesem Zyniker, der noch jung ist, bei allem bestimmt und uns verachtet, weil wir zu Behinderten werden. Mehr und mehr, als vollendete sich das glorreiche Leben in der tiefsten Demütigung. Wir beobachteten die anderen Alten. Wir wussten nicht viel über ihre Erfahrungen. Aber wir betrachteten ihre Gesichter, und sie verrieten die gleichen Schmerzen wie unsere.
    Der Speisesaal war lang und breit. Er hatte mehr als vierzig rechteckige Tische, an denen jeweils höchstens sechs Personen sitzen konnten. Dazu kamen fünf runde Tische mit Platz für ebenfalls jeweils sechs Personen. Seit dem ersten Tag setzte ich mich an den runden Tisch, der am weitesten links stand. Wer durch die große Tür eintritt, wendet sich gleich nach links und läuft weiter, bis er beinahe ganz unter einem Balken verschwindet, der sich dort durchzieht, um die Treppe abzustützen. Oft setzten sich Doktor Bernardo und Senhor Pereira zu mir. An manchen Tagen kam auch der europäische Silva her, aber nie Anísio. Anísio hatte sich daran gewöhnt, das Mittagessen mit ein paar Damen einzunehmen, die an den rechteckigen Tischen saßen, ziemlich in der Mitte des Saals, ungefähr zwanzig Meter von uns und unseren Ohren entfernt. Rechts von uns, nach einem weiteren runden Tisch, setzten sich fünf merkwürdige Damen. Es waren fünf Frauen, die den Tisch gewissermaßen ganz einnahmen. Sie waren sich selbst genug, bildeten einen geschlossenen Kreis und ließen keine Unterwanderung zu. In ihrem Innern gab es das Heim nicht, nur in ihrem Umkreis. Diese Frauen bildeten ein Dorf innerhalb des Heims. Sie waren buchstäblich ein Dorf. Den Morgen verbrachten sie am Waschtrog bei der Weißwäsche. Sie tauschten untereinander die großen Seifenstücke und die Bürsten, mit denen sie die Stoffe bearbeiteten. Sie knieten auf dem kleinen Stück Erde im Garten, gleich danach im Hof und am Waschtrog. Sie bauten etwas Gemüse an, das sie sachkundig und sorgfältig verwerteten. Dazu gehörten Möhren, die sie nach dem Ernten unter fließendem Wasser abspülten. Danach gingen sie in die Küche, nahmen kleine Töpfe und kochten ihre Suppen. Die Köchinnen machten ihnen Platz, recht wohlwollend, wie zu sehen war, weil sich alle fünf so selbständig wie wenige von uns hier betätigten. In den Blumentöpfen, die sonst als Schmuck dienen und in denen man Blumen oder Kakteen pflanzt, zogen sie Gewürzkräuter in der noch zur Verfügung stehenden Erde. Sie nutzten die kleinsten Bodenflächen, als machten sie diese rentabel für eine Fünf-Frauen-Wirtschaft, die, wie wir vermuteten, außerdem eine gesunde und vernünftige Wirtschaft war, um die wir sie zutiefst beneiden konnten. Sie saßen neben uns und unterhielten sich beim Essen sehr diskret. Dabei sahen sie so aus wie jemand, der viele Aufgaben zu erledigen hat und diese kurz und mit tiefem Verantwortungsgefühl überprüft. Wir sahen sie in diesem geschlossenen Kreis, vollzählig, wie ich gesagt habe, und das Heim pulsierte rund um sie herum und drang nicht in den Zirkel ein, es konnte diese Überlebensstruktur nicht erschüttern, die aus der Sicht des Nebentisches als eine fabelhafte Strategie erschien.
    Senhor

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