Das Haus der glücklichen Alten
noch eilig, um die Zeit des Mittagessens nicht mit dem eigentlichen Essen vollständig zu vergeuden und einige gewonnene Minuten in irgendeiner Registratur aufzuführen. Von diesen Leuten hatten mich erst wenige angesprochen. Ich wusste nichts über sie. Ich konnte mir nicht denken, wie sie hießen. Ich bekam auch nicht mit, wann sie Besuche empfingen, ob sie überhaupt welche empfingen, oder wann sie sich über irgendetwas freuten. Wenn jemand starb, erkannte ich natürlich nicht, dass dort plötzlich jemand fehlte, jemand, den schon ein anderer ersetzen konnte. Manchmal staunte ich über ein Gesicht und meinte, dass es wohl neu sei, doch es musste nicht unbedingt stimmen, dass ich recht hatte. Viele Alte schlossen sich aus Eigensinn und Unfähigkeit ein paar Monate in ihr Zimmer ein, und wenn sie wieder auftauchten, so war es, als wären sie dort neu oder in seltenen, schreckenerregenden Fällen gespenstische Erscheinungen von Leuten, von denen wir nicht glaubten, dass wir sie je wiedersehen würden. Zu unseren heimlichen gedanklichen Bosheiten gehörte auch, dass wir einige grausame Urteile fällten. Wir fanden, dass manche länger als andere überlebten, ohne dass dies einer Logik folgen würde. So sagten wir etwa, Senhor Rezende ist gestorben, wo er doch noch so ein kräftiger, rüstiger Kerl war, Monteiro dagegen ist ein Raucherwrack, er hustet immerzu und sieht schlecht aus, wie vertrocknet, er läuft aber immer noch herum, obwohl er aussieht, als gäbe er jeden Moment den Löffel ab, ohne dass er ihn tatsächlich abgibt. Wir fanden das irgendwie ungerecht, und auch wenn es hier ganz alltäglich war, dass Leute starben, fanden wir doch, dass wenigstens die Auswahl, wer ging und wer blieb, die jeweilige Abnutzung durch die Lebensweise und die Erziehung stärker berücksichtigen sollte. Wir provozierten Doktor Bernardo mit diesem Problem, als wollten wir einen besonderen Antrag stellen, um zu entscheiden, wessen sich entledigt werden sollte und wer zu verschonen war. Wir lachten wie der Teufel.
Dona Dores und Domingos saßen immer allein an einem rechteckigen Tisch, ein Stück vor uns, noch vor Anísios Begleiterinnen. Dona Dores und Domingos waren Mutter und Sohn, sie war sehr alt und er geistig behindert, was ihm jede Bosheit nahm und für immer still und kindisch machte. Er lebte nicht im Heim. Pünktlich zur Mittagszeit kam er von draußen, und Dona Dores stellte ihm den Teller aufs Tablett. Sie führte ihm den Löffel zum Mund, sagte dazu lustige Dinge und munterte ihn auf. Anísio, der am Nachbartisch saß, hatte immer ein gutes Wort für den Jungen parat. Er behandelte ihn, als wolle er ihn glücklich machen. Und der Junge lächelte und aß, und dann ging er allein fort, denn er war daran gewöhnt, an den Türen entlang heimzulaufen, ohne mit Unbekannten zu sprechen und ohne sich aufzuhalten. Nie hatte es mit ihm ein Problem gegeben. Verschlossen und hungrig kam er Tag für Tag und ging dann wieder. Anísio, der hin und wieder neue Hemden erhielt, weil er promoviert war und viele hochelegante Freunde und Familienangehörige hatte, schenkte dem Jungen ein paar davon. Er schenkte ihm ungetragene Sachen, die ihm tatsächlich passten und ihn in eine Glocke wahrhaftigen Glücks versetzten. Wenn ihm Anísio zur Begrüßung die Hand gab, drückte der Junge sie fest, zutiefst dankbar für das Hemd, das er trug. Er streckte die Brust heraus wie ein Model und fühlte Achtung und Stolz, weil er so gut angezogen herumlief.
Beim Mittagessen an diesem Tag befand sich Anísio, wie ich merkte, in einem Kreis von sieben oder acht Frauen. Sie alle sprachen über verschiedene Themen, als wären sie noch mitten im Leben. Nur eine schwieg und hielt sich eher abseits, als wollte sie mit der Gruppe nichts zu tun haben. Das fiel mir an diesem Tag auf. Es war eine Frau, die immer dort gesessen hatte, unauffällig, vielleicht etwas jünger als die anderen, ohne ersichtliche Alterserscheinungen, nur ein reines Gesicht unter einer klar hervortretenden silberweißen Haarpracht. Anísio saß am anderen Ende, von dieser Frau durch zwei andere Frauen getrennt, und seine Augen bewegten sich nicht. Der Alte mit den lichterfüllten Augen strahlte stets dasselbe Gesicht an, nur ein Gesicht, als brauchte er dieses Gesicht, als wollte er ihm etwas sagen, und Dona Glória, Glória do Linho, wie wir sie kannten, aß beschämt, ohne den geringsten Hunger, errötete manchmal, ohne etwas zu sagen, ohne sich am Gespräch der anderen Frauen zu
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