Das Haus der Harmonie: Roman (German Edition)
Bedrückendes. Ich wußte, daß Olivia am liebsten wie ein Sturmwind durch alle Räume gefegt wäre, um den ganzen Trödelkram hinauszuwerfen, die Tapeten von den Wänden zu reißen, die Teppiche aufzurollen, modernes Linoleum zu verlegen, Möbel mit glatten, schlanken Linien und Satinpolstern aufzustellen und die Oberflächen von Porzellanfiguren aller Art zu befreien: alles modern, alles praktisch. Ich wußte es deshalb so genau, weil ich das gleiche getan hätte, wäre es mein Haus gewesen.
Dort, wo ich mit Mr. Lee und Iris in Oakland wohnte, war ich auch nicht glücklich. Das feng shui dort war einfach zu schlecht. Das Haus lag an einem Hang, so daß unser Glück den Berg hinunterrollte. Irgendwann in der Vergangenheit hatte man einen Raum angebaut und damit den Grundriß von einem angenehmen Viereck zu einem Viereck »mit Anhängsel« verändert. Ursprünglich hatte Iris in dem Anbau geschlafen, aber als sie noch ein Kleinkind war und wir merkten, daß sie sich nicht normal entwickelte, ließ ich sie aus dem Unglücksraum in unser Schlafzimmer umziehen. Der Wohnraum war L-förmig und vermittelte ein Gefühl der Unvollständigkeit. Als ich bemerkte, daß meine Tochter nur langsam lernte, so spät lief, daß ihr Verstand Lücken aufwies, wußte ich, daß das Unglückswohnzimmer daran schuld war. Ich hätte gerne ein Haus in San. Francisco gekauft, aber weil mein Gatte Chinese war, hatten wir nur beschränkte Möglichkeiten. In Oakland waren die Gesetze für den Grunderwerb großzügiger.
Gideons Haus verfügte über gutes chi, wenn auch sein Fluß durch das viele dunkle Holz und die vollgestopften Zimmer behindert wurde. Olivia wußte das so gut wie ich. Darum war mir auch klar, was sie tun würde, um das Haus zu verändern, damit Glück und Gedeihen Einzug halten konnten – und vielleicht ein zweites Kind.
Olivia hatte zwei Fehlgeburten gehabt, und man hatte sie vor weiteren Schwangerschaften gewarnt. Ich gab Gideon eine Flasche Goldlotuswein für seine Frau, aber ich weiß nicht, ob sie je davon Gebrauch machte. Was meine eigene Kinderlosigkeit in der Ehe mit Mr. Lee betraf, so konnte Goldlotus nicht helfen. In unseren gemeinsamen Jahren in Chinatown war er mir immer wie ein sanftes Gemüt vorgekommen, das in ein klösterliches Skriptorium gehörte, um dort sinnend über mystischen Manuskripten zu sitzen. Und als er in unserer Hochzeitsnacht still in meinen Armen weinte und mir gestand, ich könne von ihm nie ein zweites Kind erwarten, hatte ich ihn getröstet. Ich würde Gideons Kind haben, das genügte.
Aber deshalb wußte ich, was Olivia empfand. Auch wenn sie es nicht ahnte, besaß sie mein tiefstes Mitgefühl.
Wir saßen nur zu viert in jenem Herrenzimmer. Entweder absichtlich, weil sie wußte, daß ich kommen würde, oder aber zufällig war Fiona Barclay heute nicht zu Hause. Sie machte mit ihrem Enkel Adrian einen Ausflug in den Park und hatte die kleine Margo mitgenommen, die Tochter einer Freundin Olivias, im gleichen Alter wie Adrian, die ihre Ferien bei den Barclays verbrachte.
Als Mr. Winterborn, Gideons Anwalt, ein in Juristenkreisen hochangesehener Mann, die mir zugestellten Papiere zu Ende gelesen hatte, meinte er: »Das sieht nicht gut aus, Mrs. Lee. Gar nicht gut.« Er blinzelte mich über seine Bifokalbrille an. »Haben Sie das alles vor Zeugen gesagt?«
Außer Mr. Osgood war auch noch der Hausmeister dabeigewesen und hatte jedes Wort gehört. »Ja.«
»Sie behaupten, Ihre Anschuldigungen entsprächen der Wahrheit – die gestohlenen Rezepturen, der Brand bei der Huang Handelsgesellschaft. Haben Sie Beweise dafür?«
Ich warf einen Seitenblick auf Gideon. »Für das Feuer nicht.«
»Was ist mit der Behauptung, der Rote Drache stelle giftige Produkte her, die arglosen Menschen Schaden zufügen?«
»Das ist wahr. Ich habe am Krankenbett solcher Opfer gesessen.«
»Ich kenne mich ein wenig auf dem Gebiet der Pharmazie aus, Mrs. Lee. Wie Sie selbst wissen, unterliegen Naturheilmittel keiner bundesweiten Regelung. Kein Gesetz schreibt vor, daß die Etiketten Warnhinweise enthalten müssen. Das heißt, daß im wesentlichen der Käufer das Risiko trägt.« Er nahm die Brille ab, legte sie auf das Tischchen neben seinem Sessel und fuhr fort: »Es geht hier um viel Geld, Mrs. Lee. Im Verhältnis zum Rest unserer Wirtschaft läuft Ihr Unternehmen außerordentlich gut.« Tatsächlich litt die Welt damals unter einer schweren Wirtschaftskrise. Es gab viele Arbeitslose, manche Menschen
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