Das Haus der Harmonie: Roman (German Edition)
physisch verändert hatte, seine Persönlichkeit jedoch immer noch dieselbe war. Die Goldkette, der Ring am kleinen Finger, dazu die Art und Weise, wie er vor Valerius Knight auf- und abstolzierte, vervollständigten das Bild eines Menschen ohne Selbstvertrauen, der unter dem unablässigen Bedürfnis litt, sich beweisen zu müssen.
Jonathan erinnerte sich an einen der letzten Anlässe, bei dem er Desmond getroffen hatte. Er hatte in Charlottes Wohnzimmer gesessen und darauf gewartet, daß sie herunterkam. Sie wollten zum Menlo-Park fahren, wo der »Hobby-Computerclub« eine Tauschbörse für Computerzubehör veranstaltete. Plötzlich war Desmond aufgetaucht, in einer weiten Jogginghose und einem Stanford-Universität-Sweatshirt, obwohl er gerade erst die High School abgeschlossen und noch gar nicht an der Uni angefangen hatte. Schon damals hatte Jonathan vermutet, daß er sich nur so verkleidete, um einen lähmenden Minderwertigkeitskomplex zu überspielen. Desmond hatte nie eine Gelegenheit ausgelassen, um Jonathan zu zeigen, daß er »etwas Besseres« war, obwohl Jonathans Vater wahrscheinlich sogar reicher war als Desmonds.
»Es liegt daran, daß er adoptiert ist«, hatte Charlotte einmal zu Desmonds Verteidigung gesagt, als Jonathan ihn wegen einer gehässigen Bemerkung über die Schotten, die doch nur saufen und raufen könnten, fast mit der Faust geschlagen hätte. Sie waren erst sechzehn, und Jonathan mußte noch lernen, sich zu beherrschen. Mehr als einmal hatte Charlotte schon eingreifen müssen. »Desmond ist sehr unsicher. Er versucht das, was er für seine eigenen Unzulänglichkeiten hält, auszugleichen, indem er andere herabsetzt. Er meint es nicht so.«
Am Ende hatte Jonathan nachgegeben, weil er fand, es könnte wirklich kein Vergnügen sein, Eltern wie Adrian und Margo Barclay zu haben – Adrian, selbst ein langweiliger Angeber, und Margo, der Sex-Barrakuda im Swimmingpool. Was würde Desmond wohl sagen, dachte Jonathan oft, wenn er wüßte, wie seine Mutter sich auf seinen Rivalen gestürzt hatte?
Denn Rivalen waren sie, und es ging um Charlotte.
An jenem Tag in Charlottes Wohnzimmer, als Desmond so unvermittelt hereinplatzte, wie er und seine Eltern es immer taten – als ob ihnen das Haus gehörte –, hatte er Jonathan von oben bis unten gemustert, den schlaksigen Körper, das lange, strähnige Haar, die blasse Haut des Anti-Establishment-Computerfreaks registriert und gesagt: »Du kriegst sie nie.«
Und ironischerweise hatte sich herausgestellt, daß Desmond recht gehabt hatte.
Jonathan ging zum Schreibtisch zurück, sah auf seine Uhr und setzte sich vor den Laptop. Er wählte das Modem an. Gleich darauf teilte ihm eine Nachricht auf dem Bildschirm mit, die Verbindung sei hergestellt und »warte auf Antwort«.
Er hatte in den letzten vier Stunden mehrfach versucht, seinen Partner zu erreichen, aber anscheinend verbrachte Quentin die Nacht nicht in seinem eigenen Bett.
Immer noch keine Nachricht. Kein Anrufbeantworter. Kein Umschalten auf eine andere Nummer. Jonathan runzelte die Stirn. Es war nicht Quentins Art, unerreichbar zu sein.
Das Symbol für »Posteingang« blinkte. Quentin! Aber als er die Datei öffnete, war es nicht das jungenhafte Gesicht von Jonathans Partner, das auf dem Bildschirm erschien, sondern es waren die aristokratischen Züge seiner Frau. Er klickte auf »abspielen«, und das Gesicht wurde lebendig. Adeles Lippen bewegten sich in perfektem Gleichklang mit ihrer aufgezeichneten Stimme. »Ich konnte nicht schlafen. Ich muß wissen, wann du zurückkommst. Oder muß ich dich wieder entschuldigen?«
Er stoppte das Gesicht und staunte wie jedesmal über Adeles Schönheit und Vollkommenheit, selbst nach einer schlaflosen Nacht. Allerdings war nicht zu übersehen, was die schmollende Unterlippe bedeutete. Sie waren übers Wochenende eingeladen, auf den Landsitz eines von Adeles Lord- oder Lady-Freunden, wo man zum Frühstück Champagner trank und dann zum Reiten, Schießen oder Kahnfahren ging, je nachdem, was für Leute dort waren, und wo abends etwa ein Picknick im weißen Dinnerjackett und Abendkleid stattfand, auf einer mondbeschienenen Wiese mit Tischen im feuchten Gras, an denen Butler auf Porzellan und Kristall servierten.
Es hatte eine Zeit gegeben, in der Adele es genoß, Jonathan zu entschuldigen. Voller Begeisterung hatte sie ihren Freunden erzählt, daß er leider nicht kommen könne, weil er zu einem äußerst geheimen, dringenden Auftrag gerufen
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