Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Haus der Madame Rose

Das Haus der Madame Rose

Titel: Das Haus der Madame Rose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tatiana de Rosnay
Vom Netzwerk:
ernannt worden war: »Die Kirche werden sie niemals anrühren, auch die umliegenden Häuser nicht, wir sind sicher, unser Haus ist sicher.«
    Du wolltest nichts hören. Deine Augen waren glasig, die Pupillen weit, ich wusste, dass Du die fallenden Fassaden vor Dir sahst, die Meute von Arbeitern, die die Gebäude zerstörten, die lodernden Feuer in der Grube. Ich glaube, in jenem Moment wurden die ersten Anzeichen Deiner Krankheit überdeutlich. Ich hatte sie zuvor nicht beachtet, aber nun waren sie offensichtlich. Dein Verstand geriet durcheinander. Du warst erregt, verwirrt, verloren. Von da an weigertest Du Dich, das Haus zu verlassen, selbst für einen kurzen Spaziergang im Jardin du Luxembourg. Du bliebst aufrecht im Salon gegenüber der Tür sitzen. Stundenlang konntest Du so dasitzen, Du bemerktest niemanden, mich nicht, Germaine nicht, keinen, der Dich ansprach. Du seist der Hausherr, brummtest Du. Ja, ganz richtig, das warst Du, der Hausherr. Niemand würde sich an Deinem Haus vergreifen. Niemand.
    Nach Deinem Tod ging der Abriss unter der Leitung des gnadenlosen Präfekten und seiner zerstörungswütigen Mannschaft in anderen Teilen der Stadt weiter. Ich war zu sehr damit beschäftigt zu lernen, ohne Dich weiterzuleben.
    Doch vor zwei Jahren, lange bevor der Brief eintraf, geschah etwas. Und da begriff ich es. Ja, ich wusste es.
    Es passierte, als ich mit einer Tüte Kamillentee aus Madame Godfins Laden trat. Mir fiel ein Herr auf, der an der Ecke vor dem Brunnen stand. Umständlich stellte er eine Kamera auf, ein ehrerbietiger Gehilfe stand neben ihm. Ich erinnere mich, dass es noch früh am Tag und es auf der Straße noch ziemlich ruhig war. Der Mann war untersetzt, mit graumeliertem Haar und einem Bart. Ich hatte noch nicht oft eine Kamera gesehen, nur beim Fotografen in der Rue Taranne, der unsere Porträts aufnahm.
    Ich ging langsam auf ihn zu und sah ihm bei der Arbeit zu. Alles wirkte äußerst kompliziert. Zuerst verstand ich nicht, wen oder was er fotografieren wollte, denn außer mir war niemand zu sehen. Sein Apparat war auf die Rue des Ciseaux gerichtet. Während er herumhantierte, fragte ich unauffällig den jungen Gehilfen, was sie hier vorhätten.
    »Monsieur Marville ist der offizielle Fotograf des Präfekten«, verkündete der junge Mann und schwellte stolz die Brust.
    »Verstehe …«, sagte ich. »Und wen will Monsieur Marville hier fotografieren?«
    Der junge Bursche sah auf mich herab, als hätte ich etwas unglaublich Dummes von mir gegeben. Er hatte ein einfältiges Gesicht und schlechte Zähne für sein Alter.
    »Nun, Madame, er fotografiert keine Leute, er fotografiert Straßen.« Wieder warf er sich in die Brust. »Auf Befehl des Präfekten und mit meiner Hilfe nimmt Monsieur Marville die Straßen von Paris auf, die für die Erneuerung abgerissen werden sollen.«

Vaucresson, den 26. April 1857
    Meine liebe Schwester,
    nun haben wir uns in unserem neuen Heim in Vaucresson niedergelassen. Ich denke, Ihr braucht nur wenige Stunden zu uns, solltet Du und Armand einmal kommen wollen – was ich doch sehr hoffe. Mir ist allerdings klar, dass ein eventueller Besuch von den Kräften Deines Gatten abhängt. Als ich ihn das letzte Mal sah, war er schon sehr hinfällig. Ich schreibe Dir, liebe Schwester, um Dir zu sagen, wie ungerecht ich Deine Lage finde. In den vergangenen Jahren erlebte ich Dich und Armand immer als überglückliches Paar. Solch ein Glück ist meiner Meinung nach selten. Du erinnerst Dich sicherlich an unsere schlimme Kindheit, die scheinheilige Zuneigung, die unsere Mutter (Gott hab sie selig) uns angedeihen ließ. Auch ich habe mit Edith eine Familie gegründet, auch ich habe Kinder, aber ich denke, mich verbindet mit meiner Frau nicht so Tiefes und Bedeutendes wie Dich mit Deinem Mann. Ja, das Leben war grausam zu Euch, und ich bringe es noch immer nicht über mich, den Namen meines Neffen niederzuschreiben. Doch trotz der Schläge, die das Schicksal Euch zufügte, schienen Du und Armand immer über der Situation gestanden zu haben, und das bewundere ich immens.
    Ich glaube, unser neues Haus würde Dir gefallen, Rose. Es steht auf einem Hügel und hat einen großen grünen Garten, an dem sich die Kinder erfreuen. Es ist ein großes, sonniges Haus voller Charme, fern dem Lärm und Staub der Stadt und fern den Straßenarbeiten des Präfekten. Ich denke manchmal, Armand wäre an einem Ort wie diesem glücklicher als in der düsteren Rue Childebert. Er könnte den süßen

Weitere Kostenlose Bücher