Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Haus der Rajanis

Das Haus der Rajanis

Titel: Das Haus der Rajanis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alon Hilu
Vom Netzwerk:
zeige deine Visage», und da waren schon seine kleinen Beinchen, die vor meinen Augen erschienen, und ich setzte ihm nach, doch der Junge – der erschöpft und entkräftet sich gestellt, mehr tot als lebendig in seinem Bette liegend – schnellte davon wie ein Pfeil, schneller als jedes Auge, sodass in großer Entfernung ich ihm nacheilte, und derweil der Zorn wild in mir loderte, ihn zu vernichten, mit bitterer, böser Strafe ihn zu überziehen, ertastete meine Zunge mit einem Male einen neuen Blutstrom am Zahnfleisch, wo ein rotes, warmes Loch sich aufgetan anstelle des Zahnes, der herausgebrochen.
    Ich drehte im Kreise mich, um zu sehen, welches der Ort, zu dem wir die ganze Zeit gelaufen, und meine Füße strauchelten und wären beinahe in tiefe, dort ausgehobene Gruben gestürzt, und ich konnte die Brandung der Wellen hören, die auf die Sandsteinklippen schlugen, denn dies war der Friedhof, wo der Effendi, Salachs Vater, möge Gottes Fluch auf seinem Haupt ruhen, begraben lag, und ringsum erhoben ranke Zypressen und andere schön anzuschauende asiatische Bäume sich, und im Wipfel eines von ihnen saß der Junge, seine kleinen Beine überschlagen und einen schönen Vorrat kleiner Steine in der Hand, die er einen nach dem anderen nach mir warf.
    Mit zornentstellter Stimme schrie ich ihm zu: «Komm sofort herunter und empfange deine Strafe!»
    Er bedachte mit einem Blick mich, der ganz und gar aufreizend und spöttisch.

    Ich machte mich daran, den Baum zu erklettern, doch war zu groß und zu wenig behände ich, und obendrein deckte der Junge mit weiteren Steinen mich ein. Also ließ auf einem der Grabsteine mit ihren arabischen Inschriften ich mich nieder und vergrub meinen Kopf in den Händen.
    Als ein Rascheln und Knirschen ertönt, hob die Augen ich.
    Salach stand in seiner ganzen kümmerlichen Größe vor mir, in der Hand einen gezückten Dolch.
    «Guten Abend, sei gegrüßt», sagte in spöttischem Ton er.
    Ich erwiderte: «Ich hätte es vorgezogen, dich unter erbaulicheren Umständen zu treffen.»
    «Wenigstens», sagte er, «wird dein Tod ein leichter sein, da der Dolch in meiner Hand mit dem Gift des Oleanderbusches bestrichen ist. Sobald es in dein Blut dringt, wirst deine Seele du aushauchen.»
    «Sag mir, mein kleiner Junge», sagte ich, «willst wirklich du das Leben eines anderen Menschen nehmen?»
    «Ja», erwiderte er, «für die Seelen der Abertausenden, die schon bald gemordet werden, und für die Seele meines Vaters, möge in Frieden er ruhen.»
    «Er ist eines natürlichen Todes gestorben, Salach», sagte ich. «Eines natürlichen Todes – gib nicht anderen die Schuld daran. Tatsächlich ist es so, dass du ihn gehasst, dein ganzes Leben hast gehasst du ihn, und diesen Hass wendest nun du gegen mich.»
    Er sagte: «Du hast Abu-Salach gemordet.»
    Ich sagte: «Ich tat nichts dergleichen.»
    «Lügen, Lügen, tausendfache Lügen. Hier wirst deinen Tod du finden.»
    Er stieß aus den berühmten Schrei der Araber
Allahu Akbar
– der «Gott ist der Größte» bedeutet und ungemein beliebt bei denen ist, die sich das Leben nehmen, um andere zu ermorden – und schwang den gezückten Dolch durch die Luft.

    Als die festgesetzte Stunde näherrückte, befiel furchtbare Angst meinen Körper, begannen meine Knie zu zittern, und der Dolch in meiner Hand erschien plötzlich dürftig und armselig mir, als seien seine Spitze und seine Klinge nicht geschaffen, die Seele eines Mannes zu töten, und ich atmete tief und schwer und küsste Amina, die in ihrer Kammer weinte und unentwegt ihren heiligen Koran küsste, und dann machte ich mich auf zu dem Friedhof, wo uns der Kampf bestimmt, und schon senkte sich der Abend herab, und ein dunkler Mond begann seine Bahn über das Firmament, und über allem herrschte Finsternis, die Brandung des Meeres und das Zirpen der Zikaden waren von Zeit zu Zeit zu hören, doch musste ich nicht lange dort verweilen, denn zwischen den Eukalyptusbäumen, die von seiner Hand gesetzt, trat in ganzer Größe der Engel des Todes und der Zerstörung hervor, verharrte mit einem Ausdruck des Zorns auf seinem geliebten Gesicht und in seiner Hand ein gespitzter Holzknüppel, eine Art Lanze, und er sagte mir: «Ich bin nicht hergekommen, um dich zu töten, sondern deine Strafe zu vollziehen, denn da das Gut nun mir gehört, bin ich wie ein Vater dir, musst jeden meiner Befehle du befolgen, und für die frechen Worte, die du mir entgegengeworfen, verdienst einhundert Stockschläge du, bis

Weitere Kostenlose Bücher