Das Haus der Rajanis
angelaufen, löste seine Hände von meinen Hüften und befahl ihm, unverzüglich auf sein Zimmer im oberen Stockwerk zurückzukehren. Mich bedachte sie mit großer Ungehaltenheit und machte aus ihrem Zorn keinen Hehl, dass ich ihre Weisung missachtet und das kleine Kämmerchen verlassen, und scheuchte mich wild fuchtelnd zurück in ihre schmale, beengte Behausung.
Ich tat, wie mir geheißen. Abermals saß ich in der Kammer auf einem kleinen Schemel, als sich die niedrige Tür auftat und zu meiner Freude nun die Araberin mit den geschwungenen Lippen, dem glockenhellen Lachen und den heiter blickenden Augen erschien. Die Dienerin und den Jungen hatte im Inneren des Hauses sie zurückgelassen.
Auf Französisch sagte sie: «Guten Abend, Monsieur Luminsky.»
Ich sagte: «Bitte nennen Sie mich Jacques!»
Sie sagte: «Willkommen auf unserem Anwesen. Ich bin Madame Afifa Rajani.»
Sprach’s und wand eine Locke ihres Haares um den Finger. «Ich bin zutiefst beschämt ob des Betragens meiner ungehobelten Dienerin.»
Spaßend erwiderte ich: «Eine solche Behandlung vonseiten der Damen bin ich gewohnt.»
Erstaunt sah sie mich an, doch damit ließ ich’s bewenden. Nie zuvor hatte ich mich einer muselmanischen arabischen Frau so nahe befunden, ja, einer verheirateten Frau, und noch dazu auf ihrem Landgut, weshalb ich mich über ihr freizügiges Betragen wunderte, das sie einem fremden Manne gegenüber an den Tag legte, den sie auf dem Markt in Jaffa getroffen. Als hätte sie mein Sinnen auf der Tafel meines Herzens gelesen, fragte Afifa geschwind: «Hat ein fremdes Auge Ihr Eintreffen verfolgt?»
«Nein», antwortete ich.
«Nicht einmal einer der Bauern oder Landarbeiter?», fragte sie.
«Nein», bekräftigte ich.
«Sie müssen auf sich achtgeben. Mein Gatte ist sehr eifersüchtig und jähzornig. Zurzeit hält er sich außerhalb des Landes auf, aber sollte er von der Anwesenheit eines anderen Mannes in seinem Haus erfahren, würde er sich aufmachen und Ihnen die Kehle durchschneiden. Mir wäre niemals in den Sinn gekommen, Sie hierher einzuladen, gäbe es da nicht diese Heimsuchung, die über uns gekommen.»
Eine würgende Angst drückte mir die Kehle zu, doch ich sagte kein Wort. Die Frau begann, ungezwungen und mit intelligenter, scharfer Zunge zu sprechen. Ganz unverkennbar musstesie alles andere als einfältig sein. Nur wenig jünger als ich, vielleicht fünfundzwanzig oder sechsundzwanzig Jahre alt, war sie gewisslich schon als junges Mädchen von ihren Puppen fortgerissen und mit vielleicht zwölf Jahren gegen ihren Willen an einen tyrannischen und boshaften Gatten verheiratet worden und hatte ihm einen Sohn geboren. Derlei war in Europa und in anderen kultivierten Staaten nicht zu vernehmen, sondern nur in den aller barbarischsten Ländern.
Ich sagte ihr: «Das Stückchen Papier, das Sie mir ließen zukommen, weckte meine Neugierde.»
«Es war der Junge, der darum bat, und ich erhörte sein Flehen», erwiderte sie.
«Und was ist der Name Ihres Sohnes?», fragte ich.
«Salach.»
Wohl wissend, dass jede Mutter es liebt, Preisungen und Übertreibungen über ihren Sohn zu hören, sagte ich: «Er ist ein kluger und hübscher Junge.»
Sie lächelte breit und ließ abermals ihr glockenhelles Lachen hören. «Ihre Worte entsprechen nicht einmal einem Achtel seiner Klugheit und Schönheit. Doch mein Junge ist krank, und das ist der Quell unserer Sorgen.»
«Dies betrübt mich sehr», sagte ich. «Ist es womöglich eine körperliche Erkrankung, wie die Dysenteria oder die Malaria?»
Ihr fröhliches Antlitz, ihre bronzene Haut und ihre grünlichen Augen legten nun ein Gewand der Trauer und Niedergeschlagenheit an. Sie begann, von den Fährnissen ihres Lebens zu berichten, und aus ihren Worten wurde mir nach und nach gewahr, dass sie sich allein überlassen auf dem Gut befand, mit ihrem Sohn und der Dienerin Amina, da ihr Gatte, Mustafa Abu-Salach, alle sieben Weltmeere von einem Hafen zum nächsten bereiste, um seinen mannigfaltigen und weitverzweigten Geschäftennachzugehen. Während der langen Tage, die er fern seines Hauses weilte, oblag es ihr, die Schar der Landarbeiter zu führen, die damit beschäftigt, die Früchte von den Bäumen zu pflücken und sie in großen hölzernen Kisten zum Hafen von Jaffa zu schicken. Eine große Aufgabe fürwahr, eine Männeraufgabe, derer sie nicht hinreichend kundig. Große Hilfe jedoch erwächst ihr durch ihre Dienerin, deren Regiment sich alle fügen und deren scharfe,
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