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Das Haus der Rajanis

Das Haus der Rajanis

Titel: Das Haus der Rajanis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alon Hilu
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gefragt, wie dies wohl möglich, er jedoch nur lächelte und seinen Wangen zwei reizende Grübchen entlockte.
    Niemals zuvor war ein Mann so stattlich, schön und verehrt in meinem Haus gewesen, niemals zuvor hatte die Seele eines Menschen ihre Geheimnisse mit mir geteilt, ich aber verfiel in tiefes, verlegenes Schweigen, sank hinab in seine Abgründe, verfluchte mich selbst für meine Zunge, die am Gaumen klebte, doch der Engel Gabriel schreckte nicht zurück vor meiner Berührung, sondern bot mir seine wohlrasierte Wange dar, die scharfen Konturen seines Kiefers, seine Augen mit ihrem durchdringenden, forschenden Blick, und bat sogleich, alles über mich zu erfahren, doch nichts von Wahnsinn oder Geisteskrankheit, von absonderlichen Träumen und düsteren Prophezeiungen erzählt ich ihm; gab stattdessen vor, unschuldig zu sein, und erzählte ihm von dem Fahrrad, auf dem ich fahre, wann immer Mutter mir dies nicht verbietet, und wie nebenbei stellte auch über sie er einige Fragen, wo etwa ihr Zimmer sich befinde und wo ihr Gatte, wie ihr Leben und ihr Wesen beschaffen, doch sogleich wandte er sein Interesse wieder mir zu und wollte mehr und immer mehr wissen, wie etwa, wer meine Freunde seien und welche Schule ich besuchte, welcher Art Lektionen und Arbeiten ich für die langen Schulferien des Sommers aufgetragen bekommen, und mit schwacher Stimme gestand ich, nicht einen einzigen wahren Freund zu haben und dass die anderen Kinder mich verabscheuten und mich aus ihrem Kreise verbannt, worauf er mir tief in die Augen schaute und echte Verwunderung in den seinen erwachte, da er mich fragte, ob ich wohl geneigt sei, einen Bund der Freundschaft mit ihm zu teilen. Hitze schlug mir ins Gesicht, und ehrlich und bescheiden offenbart ich ihm, niemalseinen Freund oder Gefährten gehabt zu haben, ja nicht einmal einen Bruder, und dass meine Tage in Einsamkeit verstrichen, zwischen den Seiten meines Tagebuches, zwischen Versen, die keines Menschen Auge außer dem meinen jemals würde erblicken, und er sagte zu mir: «Salach, guter Salach, dies ist doch genau, wozu gute Freunde einander bestimmt, einer die Sorgen des anderen zu teilen, gebe Gott und du willigst ein, mir Freund und Gefährte zu sein.»
    Und von da an ward dieser Bund zwischen uns geschlossen, dass wir fortan gemeinsam den Pfad wahrer Freundschaft beschreiten wollten und mein neuer Freund mich Woche um Woche in meinem Zimmer auf unserem Gut würde besuchen, ich all meine Wünsche ihm anvertrauen, meine Qualen allesamt ihm berichten könnte, und Gabriel, dieser Engel und gute Freund, sich nach Herzenslust in den erquickenden Gärten unseres Gutes aufhalten möge, seinen Durst an den Fontänen, den Kanälen und Bächen stillen, durch alle Räume wandeln und mit seinen Flügeln in unseren Fluren rascheln, alsdann wir diesen Pakt besiegelten mit einer inniglichen Umarmung echter Freundschaft, und mein großer Freund, ein echter Mann, umfing meinen Körper, fürwahr, das erste Mal dies war, dass ein guter großer Bruder mich in seinen Armen hielt und meine Augen sich unwillkürlich mit Tränen füllten, die ich verstohlen weggewischt, ohne dass er auch nur eine davon bemerkt, als mit einem Mal das Bildnis einer Frau vor mein geistiges Auge trat, eine schöne jedoch übelgelaunte Frau, alles an ihr Frost und Kälte, und ich wusste, dass sie es ist, die das Leben dieses Engels vergiftet, und dass er sie nicht liebt und vor ihr flieht, doch meinem neuen Freund sagte ich nichts von alledem, um seine Seele nicht zu betrüben, da seine Umarmung noch in meinem Gewande hing.

1. Oktober 1895, Neve Shalom, einige Stunden später
    Die gnädige Frau hatte mir aufgetragen, zur Pharmazie auf dem Arabermarkt zu gehen und Arzneien zu kaufen, die sie für ihre Zahnmedizin benötigt, darunter ein Puder, das in die löchrigen Zähne verfüllt wird, und verschiedene Säfte und Tinkturen, die Schmerzen des blutenden Gaumens zu lindern. Ich fügte mich ihrer Weisung ohne Widerworte, was darin seinen Grund hatte, dass sie einen nachgerade ungewöhnlich fröhlichen Eindruck vermittelt und ich ihre Stimmung nicht trüben wollte. Anscheinend zieht sie größtes Vergnügen aus ihrem Brotberufe und diesem Akt, im Zahnfleisch der Araber, die sie aufsuchen, herumzustoßen und zu stampfen.
    Doch jetzt gedenke ich, zu dem zurückzukehren, was mir gestern auf dem Landgut widerfahren.
    Als der törichte arabische Junge dastand und mich lange Minuten umfangen hielt, kam die übellaunige alte Dienerin

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