Das Haus der Rajanis
und wohin sein mächtiger, dichter Schnauzbart? –, und mit einem Mal ward mein Innerstes zur Wüstenei, erwachten Wind und umherfliegende Sporen in mir, denn Vater ist tot, wird niemals wieder sich erheben, niemals wieder von Reisen aus der Ferne zurückkehren, wird nimmermehr seine Stimme noch seine Hand erheben, und doch erschien mir diese Kunde höchst sonderbar, da keinerlei Schwäche an ihm erkennbar gewesen und es keinen Hinweis vom großen Geschichtsschreiber über die seltsame Geschichte gegeben, wie also konnte es sein, dass Vater so plötzlich verstorben, dass seine Seele er mit einem Male ausgehaucht? Ich erfüllte das Haus mit gellendem Wehgeschrei, doch niemand kam mich zu trösten, denn über allem war Stille, ebenjene sonderbare Stille des Fürsten der Toten, der auf seinem Fuhrwerk daherkommt, eine jede Seele mit seiner Forke aufzulesen.
27. Dezember 1895, Neve Shalom, wenig später
Ohne recht zu wissen, was ich tat, öffnete die Tür zur Klinik ich, wo die gnädige Frau Gold zu Gold fügte, um die Zähne reicher Araberfrauen aufzufüllen, derweil eine arabische Klientin der Länge nach ausgestreckt auf dem Stuhle unter ihr lag.
Die Araberin bat um Verzeihung ich und trat zu meiner Frau und Gattin, um sie an Schulter und Hüfte zu umfangen. Die gnädige Frau zeigte sich nachgerade überrascht von diesem ungewohnten Betragen meinerseits, verließ jedoch das Zimmer und küsste mich ins Gesicht. Ich sagte ihr, sie sei über alle Maßen teuer mir und dass flehentlich ich sie bitte, mir all meine schlechten Taten zu verzeihen. Die gnädige Frau lachte leichthin und sagte, ich könne Buße tun für alle meine Sünden, wenn an einem der nächsten Tage zur Nachmittagsstunde arabischen Kaffee ich mit ihr trinken gehen würde. Ich gab mein Einverständnis.
In diesen schweren Stunden wünscht ich, mich mit dem Engel Gabriel zu beraten, all meine kruden Gedanken vor ihm auszubreiten und seine angenehme, beruhigende Stimme zu vernehmen, die mich mit Gelassenheit und gutem Rat erfüllt, doch der Engel Gabriel ist nicht wiedergekehrt in meine Kammer, wie er es in jener Nacht getan, und selbst das Flackern der Kerze ist erloschen, das Öl in der Lampe aufgebraucht, und nur du, mein Tagebuch, mein einzig wahrer und getreulicher Freund und Gefährte auf Erden, nur du wirst zwischen deinen Seiten ein letztes Zeugnis vom Wahn einer irrenden und verwirrten Seele bewahren, der vom Tage ihrer Geburt nur ein einzig Wort im Himmelgeschrieben ward, ein Wort und ein Schicksal, das des Todes, denn nicht allen Seelen ist beschieden, das volle Maß ihrer Tage bis zur Neige auszuschöpfen, da der Säuglinge viele, die tot geboren, und jene, die nicht tot geboren, rafft hinweg die Lungenkrankheit der kalten Wintertage oder eine der Gedärme in der Hitze des Sommers, derweil andere im Meer ertrinken oder gemeuchelt werden, sodass derer nur wenige, die am Leben bleiben, und nicht alle Seelen für ein langes Erdenleben sind erkoren – gewisslich nicht die von Salach.
27. Dezember 1895, Neve Shalom, noch eine Weile später
Dies sind die Neuigkeiten und Nachrichten, die Salim und Salam soeben überbracht: Heute, kurz vor Tagesanbruch, fand die Dienerin Amina Mustafa Abu-Salach in seinem Kabinette sitzend, indessen seine Haut und Kleidung einen scharfen Schweißgeruch verströmten, und als sie ihm die Morgenerfrischung und die Wasserpfeife brachte, die er so geliebt, sah sie, dass gequollen seine Augen und blau verfärbt seine Lippen, worauf sie, insofern ein armseliges Geschöpf wie sie zu solch einer Tat überhaupt befähigt, sein Zwerchfell untersuchte und gewahrte, dass er tot war, verstorben und entseelt.
Wie es Art der einfachen arabischen Frauen bei solchen Begebenheiten, begann zu kreischen und zu greinen sie, worauf flugs Afifa und der zarte, melancholische Knabe sich bei ihr einfanden und die beiden Frauen einander in Wehklagen und Heulen maßen, bis die Pachtbauern und Fronarbeiter von den Feldern und aus den Obstpflanzungen herbeigeeilt kamen und sich dem Weinen und Jammern anschlossen.
Zu gehen und den Doktor zu rufen, kam keinem von ihnen in den Sinn, stattdessen schickten sie nach den Hexen, die in der Fronarbeiter Zelte hocken, und diese Weiber hoben an, Verse aus dem Koran zu murmeln, um den Leichnam zu reinigen und seine Seele in Frieden an das Ziel ihrer Wünsche zu geleiten. Doch kaum waren diese einfachen Weiber eingetroffen, zeigten sie sogleich sich der prachtvollen Kleider des Verstorbenen begehrlich,
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