Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Haus der Rajanis

Das Haus der Rajanis

Titel: Das Haus der Rajanis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alon Hilu
Vom Netzwerk:
von diesem und von jenem schlürfte, einer süßer und gehaltvoller als der andere.
    Die gnädige Frau kostete von einem der Liköre und begann zu kichern, auf anzügliche und enthemmte Weise, tauchte hernach ihren Löffel in die Vanillesahne und rührte derart energisch um, bis Wellen auf ihrem schwarzen Kaffee sich kräuselten, derweil in einem fort sie Bekannten und Passanten zuwinkt und zwitschert, darunter russische
émigrés
, die dem Schnapse zugetan, Denker und Ideologen, die eifrig räsonieren, und alle möglichen Dichter und Schriftsteller, die in der hebräischen Sprache sich ergehen.
    Zahlreich sind die Herren, die zum der Tische der gnädigen Frau gepilgert kommen, sich verbeugen vor ihr und ihr zu Ehren den Hut ziehen, ja mich dünkt, dass in den vielen Tagen, da ich unserem Hause fern gewesen, sie eine erkleckliche Zahl an Bekannten und Freunden sich gewonnen, eine endlose Karawane von Verehrern und Bücklingen, die mein Erstaunen und gewisslich meinen Stolz ob der Schönheit der gnädigen Frau weckten, aber auch den Stachel der Eifersucht, die ein Manne für sein Eheweib empfindet.
    Ein Mann meines Alters, kreisrunde Binokulare auf der Nase, küsste nach allen Regeln der Etikette am Hofe Kaiser Wilhelms II. die Hand ihr. Die gnädige Frau beeilte sich, ihn mir vorzustellen, und ihre Stimme gibbelte ein wenig. David Kumar ist sein Name, das neue Oberhaupt des Komitees der Chowewei Zion in Jaffa. Seine Stirn hoch und schön, seine Augen voller Lebenslust und Gescheitheit, und unverheiratet noch er sei. An seiner Seite sein Freund und Gefährte Joshua Eisenstadt, ein langer Kerl mit dem entrückten Blick eines Menschen, den das Malariafieber befallen. Auch er bekomplimentierte die gnädige Frau und küsst ihr gleich zweimal die Hand. Der dritte im Bunde, Nathan Kaiserman sein Name, klein an Wuchs, zerfurcht und dickfingerig, machte alsgleich ihr seine Aufwartung. Wie ich hat Agronomie studiert er und unterrichtet nun an der Mikwe Israel Schule im Süden von Jaffa.
    Indigniert stellt die gnädige Frau ich zur Rede. «Ist die Parade deiner Verehrer vorüber?»
    «Fürs Erste», erwiderte sie.
    Ich ging, mein Wasser abzuschlagen in einer Grube neben dem Kaffeehaus, und zurückgekehrt an unseren Tisch musst feststellen ich, dass die gnädige Frau, ihren Versprechungen zum Trotze, nicht untätig geblieben, sondern höchst angeregt miteinem elenden Wicht turtelte, einem Mann von abgerissenem Äußeren, der Gedichte und Verse ihr deklamierte aus einer schwarzen Kladde, die aus seinem verblichenen Anzug er zutage befördert, ehe der Oberkellner ihn beim Kragen gepackt und ihn auf die Straße gesetzt.
    Ich fragte die gnädige Frau, «Wer und was war dies?»
    Sie errötete. «Ein Dichterkomödiant, der mir aus seinen Versen rezitiert.»
    «Und wie ist sein Name?»
    «Das weiß keiner», sagte sie, «doch alle Welt ruft ihn Wilder Ochs.» Und kicherte ein frivoles Kichern.

1. Januar 1896 (Fortsetzung)
    Auf dem Rückwege zu unserem Haus legte die gnädige Frau mir gegenüber ein sonderbares Gebaren an den Tag. So wies etwa mir sie die schmale Mondsichel, die bis zur Monatsmitte sich stetig würde runden, das regengeschwängerte Erdreich und die sich wölbenden Bäuche mancher, die uns begegnet, was alles höchst exzeptionell und nicht im Einklang mit ihren Gepflogenheiten war, da wie berauscht sie ging oder wie in geistiger Umnachtung, doch obgleich ich sah, verstand ich nicht, obschon ich hört, begriff ich nicht.
    Als wir unsere eigen vier Wände erreicht, verschloss die gnädige Frau die Türe hinter uns, zog vor die Vorhänge, löschte die Öllampe und sagte, «Komm in unser Schlafgemach.»
    Aus Sorge und Bangen fragt ich: «Ist wohl dir?»
    Sie sagte: «Geschwängert möcht ich werden.»
    Eine Gluthitze kam in meine Brust. Ich eilte und legte abmeine Kleider, jene zuoberst zuerst, jene zuunterst zuletzt, betrat alsbald unser Zimmer und schloss die Türe hinter uns. Und in meinem Herzen nur dies eine Wort: Halleluja.

    Ein schwarzer, undurchlässiger Schleier, ein schwerer Vorhang, der das Leid aller Zeiten in seinen Falten trägt, umgibt Mutters Zimmer, und ich habe zur Gewohnheit es mir gemacht, durch eine der kleinen Öffnungen, die eben passend für die Größe eines Kindes, nicht aber für die eines Erwachsenen, mich in ihr Gemach zu stehlen, und dort, hinter dem Schleier, im Faltenwurf des Vorhanges, kauere ich, meine Ohren gespitzt, meine Augen weit aufgerissen, alles Betragen dieser Frau, die meine

Weitere Kostenlose Bücher