Das Haus der Rajanis
Mutter genannt, zu erfahren, dieser Frau, die wie eine keusche Witwe erscheint, zu ergründen, wer in Wahrheit sie ist, die gegen meinen Willen mich geboren, wollte Gott, dass alle Seiten meines Buches, die sie kreiert, ausgelöscht und verloren wären, ohne dass auch nur ein erstes Wort auf ihnen geschrieben.
Mutter sitzt die meiste Zeit niedergeschlagen auf ihrem Bette, gebeugt, ihre Hände gefroren, da der Winterwind, der draußen durch die Äste peitscht, sich ins Zimmer stiehlt, doch zuweilen erhebt sie sich und seufzt schwer, und einmal stand vor dem Schlitz im Faltenwurf sie, ebenjener Öffnung im Vorhang, die mir zu spähen und zu linsen erlaubt, schauten meine braunen Augen in ihre grünen, stockte mir der Atem, als unbewusst und gedankenlos sie mich anblickt und meinen Namen ruft: «Salach!, Salach!», ein ums andere Mal, und schon wollte aus der Vorhang Falten ich treten, von den vergessenen Kissen und leeren, von ihren Erbauern in Verzweiflung aufgegebenen Spinnennetzen mich erheben, wollte in Liebe und Vergebung sie umarmen,denn vielleicht hatte getäuscht ich mich, war alles, was ich mit eigenen Augen gesehen, nichts als ein Traum oder eine Vision oder eine Geschichte, befeuert von der Phantasie eines Möchtegernschriftstellers, der noch nicht zum Manne geworden, der bloß ein Junge, ein kleiner Junge, der ob der Intrigen und Labyrinthe des Lebens verwirrt, doch da wandte Mutter den Kopf, und mir wurde klar, dass die Worte, die sie ausgesprochen, zu sich selbst sie gesagt, aus der Zerstreutheit eines Menschen, der allein mit sich in einem Zimmer, das von schweren Vorhängen verhüllt.
Mir schien, Mutter harrte des Kommens jenes Engels, denn zuweilen rief seinen Namen sie, warf den Kopf in den Nacken und ließ ihr Haar sich über ihren Rücken ergießen, ja evident war, dass diese beiden einander liebten und eine Kabale zwischen ihnen gesponnen, und einmal sah ich sie sich über die Kissen beugen und ihren Morgenrock ablegen, worauf ihre unreinen Schenkel, noch schimmernd von salzigen Flüsschen, beide vor mir entblößt und ich des absonderlichsten Schauspiels Zeuge wurde: Denn zwischen ihren Beinen einige Binden fielen herab, deren blütenweiße Reine von starker Blutung besudelt und geschwärzt, und ein Schrei loderte in meinen Schläfen auf, ob dieser Geheimnisse alle, die verborgen im stillen Kämmerlein – was geschah hier, welch Schrecken mochten noch unter Kissen und Decken lauern –, und das Blut rann aus meinen Beinen, bald würde in Ohnmacht ich fallen und meine Sinne verlieren, doch meine Augen blickten vor Entsetzen geweitet, gebannt von ihren sonderbaren, stillen Verrichtungen, da im diesigen Licht des Zimmers nun all ihrer Kleider sie sich entledigte, und unter den Brüsten, deren Spalt mir aus jenen anderen Tagen wohlvertraut, und unter dem runden Nabel, der ein wenig nach vorne sich wölbte, war dort dichtes schwarzes, zu einem Dreieck geformtes Haar, ausdem Blut troff wie ein gemordetes Kind, das flieht um sein Leben, und Mutter nahm die unreinen Binden und warf in einen kleinen, versteckten Eimer sie, doch ihr Geruch, der Geruch von Leben, dem mit Schwert oder Lanze der Garaus gemacht, war von großer Penetranz, stieg auf, verbreitete sich und drang mir in die Nase, als neue, trockene Binden, weißer als alles Weiße, jetzt genommen und auf das haarige, abstoßende Dreieck gepresst wurden, bis hinter den Vorhängen unter leisem Stöhnen, dass bloß mich sie nicht hört oder bemerkt oder die Verhüllung zieht fort, ich mir die Seele aus dem Leibe spie.
6. Januar 1896, Neve Shalom
Endlich ist die muselmanische Trauerzeit vorüber, für deren Dauer die arabische Madame mir strikt und unmissverständlich untersagt, mich dem Gute zu nähern, um nicht der üblen Nachrede, der Verleumdung und des Gerüchtes bei den Leuten zu wecken. Der Wahrheit zu Willen sei gesagt, dass die Araber auf ihre Ehre äußerst bedacht sind und sich geradezu kulturlos aufzuführen imstande, wenn diese sie verletzt dünken.
Doch nun war wieder mir gestattet, die Araberin zu besuchen, zu ihr mich zu begeben, und nachdem mit einem Kuss ich mich verabschiedet von der gnädigen Frau, die sich mühte, den letzten noch verbliebenen Zahn der greisen Gattin eines Effendis zu retten, empfahl ich mich.
Den Weg legt auf dem Rücken einer Mähre ich zurück, unter grauem Himmel, derweil im Wadi Musrara zu meiner Rechten der Wasser Massen strömten. Das Tor zum Gut der Rajanis stand weit offen und schwang, dem Winde
Weitere Kostenlose Bücher