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Das Haus der Rajanis

Das Haus der Rajanis

Titel: Das Haus der Rajanis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alon Hilu
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krummen und verdrehten Pfaden, dass ein jeder, der darin eine Logik sucht, in schierer Verzweiflung endet.
    Kaum war er meiner ansichtig geworden, ließ der Ochs die Franzosenfrau sitzen und kam zu mir geeilt, und ich bestellte seinen Bedürfnissen entsprechend Wodka, Kreplach und Zimmes. Alsbald saßen wir in dem Café mit Blick auf das Meer, und ich trank und trank mit ihm, meine Sorgen zu vergessen, ohne dass etwas über die Drohungen des Jungen ich kundtat. Der Wilde Ochs indessen hätschelte alldieweil die Hinterteile der Damen, die unseren Tisch passierten, und gab bei den Prallsten und Saftigsten noch ein lüsternes Kneifen dazu.
    Ich sagte: «Ich finde bei guter Laune dich vor.»
    «Nicht nur gut», sagte er, «sondern trefflich.»
    «Wie das?», fragte ich.
    «Sieh die Fischer ihre Angelruten auswerfen, die liebliche See und diesen vorzüglichen Wodka. Und besieh dir auch das», sagte er und beförderte fünf Franken zutage.
    «Was ist das?», sagte ich.
    «Ein Vorschuss, der mir von der Kolonie Rechovot gewährt, für ein neues Poem, das für sie geschrieben.»
    «Und welcher Natur ist dieses Poem?», fragte ich.
    «Eines meiner besten ist’s», erklärte er. «Ein Lied der Liebeund Sehnsucht nach dem Lande Zion, das die Gefühle eines jeden Kolonisten weckt, der flugs seine Barschaft öffnet und großherzig und erbötig gibt. Möchtest eine Strophe daraus du hören?»
    «Mit Vergnügen», erwiderte ich.
    Er kam auf die Füße und verlas mit großem Pathos:
    Hört meine Brüder in den Ländern der Verbannung
    der Worte unserer Seher Mahnung,
    denn erst mit dem letzten Juden
    naht auch die Erfüllung unserer Hoffnung!
    Die Gästeschar des Cafés hatte umringt uns und klatschte Beifall, da er geendet, und der Wilde Ochs strahlte vor Glück.
    Wer weiß, vielleicht wird ja noch irgendeine Hoffnung aus diesem Poeten der Misthaufen erwachsen, der solcherlei krude Reime zu schmieden weiß.
    Ich bestellte noch einmal zwei Flaschen, eine für ihn und eine für mich, und trank.

27. Januar 1896, auf dem Gute der Rajanis
    Mendel, Jehoshua und Jedel, diese drei eifrigen Spione, die ich losgeschickt, dem Jungen nachzuspüren, kamen heut mit höchst beunruhigenden und das Herz vergiftenden Neuigkeiten zu mir. Den ganzen Tag haben Salach sie nicht aus den Augen gelassen, da zu den Pachtbauern er ging, diese um sich versammelte und mit vielen Worten sie aufwiegelte. Seine schüchterne und bescheidene Natur gänzlich verflogen war, als auf einer Art kleinem Schemel er stand, mit den Armen ruderte und aus voller Kehletönte, wobei wieder und wieder den Namen ihres Gottes – Allah – er rief.
    Ich fragte die drei, was der Junge zu den Bauern gesagt.
    «Das Gegacker der Araber ist uns unverständlich», sagten sie, «aber offensichtlich war, dass der Junge große Furcht unter seinen Zuhörern geweckt, denn die Bauern begannen, auf die Knie sich zu werfen und zu beten, wie es der Muselmanen Sitte in Furcht und Scheu, und sie riefen aus der Tiefe ihrer Kehlen in einer Art und Weise, welche die Lippen der Söhne Russlands nachzumachen außerstande.»
    Hernach war der Junge zum Wohnhaus zurückgekehrt, und Mendel, Jehoshua und Jedel ihm nach, doch anstatt auf sein Zimmer sich zu begeben, nahm eine Abkürzung er zu einem Erdhügel, den ein ungeübtes Auge nimmer würd bemerken, war niedergekniet dort, hatte aus seiner Tasche eine kleine Harke hervorgeholt und begonnen, emsig zu graben, bis einen kleinen Zigeunerdolch von kurzer Klinge er freigelegt, der dort vergraben gewesen. Den ließ der Junge in seinen Kleidern verschwinden, bedeckte hernach, wie eine Katze ihren Kot, den Hügel und gab sein vorheriges Äußeres ihm zurück.
    Von dort wandte flugs zum Meer er sich, zum Grabe seines Vaters, und meine Späher auf seinen Fersen. Ihren Worten nach gewahrte nicht in einem Augenblicke er sie. Der Junge ist schnell auf des Schusters Rappen unterwegs, und die drei wackeren Burschen verloren viele Male auf dem langen Marsch seine Spur, fanden jedoch stets wieder sie. Auf dem Friedhof saß er, schaute das Meer, entzündete zwei Kerzen auf dem Grab und murmelte absonderliche Gebete. Doch wie groß war die Bestürzung bei Mendel, Jehoshua und Jedel, als sie den Jungen alsbald den Dolch aus seiner Tasche holen und seine Handgelenke wieder und wieder damit ritzen sahen, bis das Blut nur so strömte.
    Mendel war schon in Begriff, aufzuspringen und den Jungen vor seinem selbst gewählten Tode zu erretten, doch Jehoshua hielt zurück ihn und

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