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Das Haus der Rajanis

Das Haus der Rajanis

Titel: Das Haus der Rajanis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alon Hilu
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den modernen Zeiten, in denen wir leben, diagnostizieren und heilen sich, was einst als Fluch des Himmels gegolten.»
    Von neuem überkam Traurigkeit sie. «Salach», sagte sie.
    Ich sagte: «Lass keine Sorge in dein Herz. Ich werde den besten aller Experten bestellen, und dieser wird, mit Allahs Hilfe, der leidenden Seele Linderung verschaffen.»
    Sie küsste meine Finger und gab ihr Einverständnis.
    «Wohin gehst du?», fragte ich.
    «Meine Hände waschen», sagte sie.
    Ich ließ sie.

31. Januar 1896, auf dem Gute der Rajanis
    Heute hat auf dem Gut der erwünschte Experte sich eingefunden, niemand anderes als unser alter Freund Dr. Al-Bittar.
    Ein anderer Arzt war in ganz Jaffa nicht zu finden, doch dieser Al-Bittar erklärte und versicherte mir, er sei Experte auch für die verschlungenen Krankheiten der Seele, von der Epilepsie bis zur Melancholie, und ebenso alle anderen Leiden der Idiotie und des Wahnsinns, ja er willigte sogar ein, sich zum Hause des Patienten zu bemühen, zu dem einige Meilen außerhalb der Stadt gelegenen Anwesen.
    Die Araberin ward von Traurigkeit befallen, als der Arzt erschien, und daher nicht zur Hand, ihn zu empfangen, weshalb ich eigenhändig einen arabischen Kaffee ihm bereitete, gut aufgekocht und körnig und mit Kardamon gewürzt, wie die Araber ihn lieben, im Erdgeschoss mit ihm Platz nahm und über sämtliche Leiden des Patienten auf all ihren Abwegen ihm berichtete.
    Der Doktor lauschte geflissentlich meinen Worten, alldieweil er unermüdlich die
Masbacha
durch die Finger gleiten ließ und ab und an Fragen stellte, die zu meiner großen Überraschung nicht völlig aller Intelligenz entbehrten, so etwa, welcher Natur die Schreckensvisionen, die den Jungen während des Tages und in wachem Zustand ankämen, wobei insbesondere er Auskunft erbat über jene Vision von einem Feuerwurm und ich ihm die ganze Geschichte erzählte, wie bei dem Jungen jene grundlosenVerdächtigungen erwacht, bis seine Liebsten, die Menschen die ihm am teuersten und nächsten, er schon zu verderben trachtete, und wie er vor seinen Augen eine große Stadt, eine Metropolis gesehen, welche die Juden auf der Erde Jaffas und dem Gute der Rajanis zu erbauen trachteten, und wie ein Krieg würde kommen und sie alle vertreiben. Doktor Al-Bittar lachte schallend, bis seine
Masbacha
ihm entglitt und zu Boden fiel, und sagte: «Eine solch wilde Phantasie habe noch nicht einmal ich von den seelisch am stärksten verwirrten Patienten zu hören bekommen, denen meine Behandlung zuteilgeworden.»
    Hernach bat der Doktor, ein wenig mit dem Jungen sich unterhalten zu dürfen, was indes ein Problem aufwarf, da Salach in seinem Zimmer sich eingeschlossen hatte und sich weigerte, die Tür zu öffnen. Ich verbrachte geraume Zeit damit, ihn zu bestürmen, und sogar seine Mutter erschien aus unserem Gemach und fügte die ihren Bitten hinzu, derweil der Doktor die ganze Zeit dabeistand und seine Notizen sich machte. Am Ende fügten in das Unvermeidliche wir uns und resignierten, ehe mit dem Arzt ich ins Erdgeschoss mich zurückbegab, um nach Möglichkeit eine erste Diagnose von ihm zu erfahren.
    Der Doktor gab vor, angestrengt zu überlegen und in vielerlei Gedanken versunken zu sein, warf in Falten seine Stirn und biss auf die Lippen sich. Ich gewahrte wohl, dass eine bestimmte Sache er wünschte, und gab zu seinem vereinbarten Salär ein Bakschisch ihm. Darauf dankte der Doktor für den Kaffee und versprach, die Diagnose innerhalb von zwei Tagen oder längstenfalls deren dreie zu übersenden.
    Ich meinerseits dankte ihm, und mit den besten Wünschen verabschiedeten wir einander.
    Einige wenige Stunden nachdem er gegangen war, hörte oben ich eine Tür sich öffnen und alsbald den Laut behutsamer,kleiner Schritte. Es war Salach, der die Treppe hinabgestiegen kam und in das Kabinett trat, wo ich saß.
    Ich betrachtete ihn, und Traurigkeit erfüllte mich, da in mir die Erinnerung an unsere erste Begegnung aufkam. Wie groß war die Entfernung, die seither bis zum heutigen Tage wir zurückgelegt! Ich hört noch, wie damals er zu mir gesagt, mit stillem, dünnen Stimmchen wie ein gebildetes Fräulein: «Du bist ein Jude», und sah, wie seine Wangen sich röteten wie die einer Jungfer, und im Geiste blätterte in unserer gemeinsamen Geschichte ich wie ein Mensch, der zur Nacht eine Geschichte liest, und mit jeder Seite, die ich umschlug, wandelte vor meinen Augen sich seine Gestalt, von Kapitel zu Kapitel, und tiefe Trauer erfüllte

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