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Das Haus der Rajanis

Das Haus der Rajanis

Titel: Das Haus der Rajanis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alon Hilu
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grundlose Anschuldigungen gegen ihn ich erhob und Lügengeschichten ihm andichtete, und ein sonderbares und zugleich beängstigendes Gefühl stieg in mir auf, dass wir beide, der Engel und ich, ich und der Engel, nichts weiter als der Phantasie entsprungene Gestalten sind, gefangen in einer furchtbaren Geschichte, die über vieleSeiten geschrieben, und wir von Seite zu Seite, von Kapitel zu Kapitel uns verändern, während anderer Augen, die Augen der Leser, uns die ganze Zeit beschauen, ihre Hände in unserer Geschichte blättern, sie neben ihrem Bett uns ablegen und hernach sich unterhalten über uns. Doch was denken sie über uns? Empfinden Groll sie gegen uns? Sind zornig sie auf uns? Verurteilen unseren Charakter sie in ebendem Maße, in dem auch wir über uns selbst uns grämen? Als diese neuen Gedanken drohten, mich mit all ihrer Macht zu überspülen, gebot ich ihrem Ansturm und Getöse Einhalt, näherte dem guten Engel mich und legte meine kleine Hand in seine große, und der gute Engel bedachte mit einem kleinen Lächeln mich und hatte bereits all meine Streiche mir verziehen, die Streiche eines kleinen Jungen, der noch nicht um die Gepflogenheiten der Welt weiß, und ich legte meinen Kopf auf seine Brust, und der gute Engel seufzte zufrieden, das tiefe, brummende Seufzen eines Vaters, der über die Taten seines Sohnes beglückt.

2. Februar 1896, Neve Shalom
    Heut am frühen Abend begab ich mit Salim und Salam mich zu den Pachtbauern und bat, die Männer sollten bei einem der noch rauchenden Feuer, aus dem in alle Richtungen Funken stoben, zusammenkommen. Ich versammelte sie um die letzten noch glimmenden Holzscheite und verlas die Bekanntmachung ihnen, erlassen durch die Gutsherrin, Afifa Rajani, dass künftig sie ihre Ländereien nicht länger sollten bestellen.
    Tiefes Schweigen befiel die Männer. Es war nur zu offensichtlich, dass die Bauern, vielleicht ob Salims und Salams geschwinderÜbersetzung, vielleicht aus einem anderen Grunde, zunächst nicht die Bedeutung meiner Worte erfassten, da ihr tumber Blick und ihr Verharren am Feuer beredtes Zeugnis abgaben von ihrer kümmerlichen Unkenntnis. Daher bat Salim und Salam ich, ihnen unmissverständlich kundzutun, dass in einer Woche im frühen Morgengrauen sie ihr Bündel zu schnüren und das Gut zu verlassen hätten.
    Nun waren auch die Frauen und Kinder schon herangekommen und hatten um uns sich geschart, zu sehen, was die Szene zu bedeuten und zu welchem Zweck das ganze Schauspiel, und ausgerechnet die Ehefrauen und Mütter, sie waren es, die als erste die Neuigkeit erfassten und begannen, unter Tränen einander zu umarmen, ihre Augen voller Trauer und erster Sehnsucht auf dieses Land gerichtet, auf dem so viele Jahre sie gesessen, seit den Tagen ihrer Ankunft aus Ägypten.
    Ich bin bereits wohlvertraut mit dem Wesen des Arabers und seinem Brauch, Freude durch lautes Aneinanderklatschen der Hände und Schlagen der
Darbuka
-Trommel zum Ausdruck zu bringen, Trauer hingegen durch extrovertiertes Klagen, wie es in meinem Herkunftslande weder üblich noch gern gesehen ist. Indes und zu meiner großen Überraschung stützte ihr Verhalten diesmal jedoch sich auf die Grundfesten von Kultur und Vornehmheit. Die weinenden Frauen stimmten kein gellendes Wehgeschrei an, sondern unterdrückten ihr Klagen mit stillen Tränen, wie ein Mann, der einen Schicksalsschlag hinnimmt, unwillentlich zwar, jedoch mit einer im Determinismus gründenden Ergebenheit.
    In ihrem kollektiven, stillen Weinen baten um Erlaubnis sie mich und holten alsbald, unter meinen erstaunten Blicken, orientalische Saiteninstrumente aus ihren Hütten und stimmten ein Lied an, das von zu Herzen gehender Melodie und mit Worten,deren Übersetzung aus dem Arabischen ich in meiner Kladde notiert ob der Traurigkeit, die diese auch in mir zu wecken vermocht, ein Klagelied über ihr bitteres Schicksal, das sie zwingt, die Wiege ihres Geburtslandes zu verlassen und alles, was sie geliebt, alles, von dem je sie geträumt, hinter sich zu lassen und in ein anderes Land zu gehen.
    Sie warfen neues Reisigholz in das Feuer, fertigten eine Art von arabischen Kerzen, die ringsum sie aufhängten, und stimmten voller Trauer und Gram weitere Klagelieder an.
    Just da erfasste zum ersten Mal ich, mit jeder Faser meines Herzens, wie verbunden der Araber seinem Land ist.

    Der Sohn eines der Pachtbauern klopfte an meine Fensterläden, und ich öffnete diese, tief in der Nacht, und der Junge sagte zu mir: «Zerstörung

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