Das Haus der Rajanis
Person, die Zugang zu seiner Welt hat, ist die finster blickende Dienerin, die ihm Ängste und Phobien der schlimmsten Sorte einflößt. Aus jeder Ecke und jedem Winkel erwächst nichts anderes ihm als die Erinnerung an den Tod seines Vaters, was alleine schon genügte, die Depression zu nähren. Doch zu allem Überfluss sind es die verlassenen Habseligkeiten seines Vaters, seine leeren Kleidungsstücke und seine strengen Ausdünstungen, die noch nicht aus den Räumen gewichen, durch welche all diese Trugbilder und Phantasien geweckt, die seine Seele niederdrücken.
Die Araberin hat indes die Depesche des Arztes mir gezeigt, nicht aber um meine Meinung mich gefragt, sodass ich kein Wort darüber verlor. Meinem Tagebuch aber kann ich es wohl gestehen: Sollte der Junge auf eine Woche oder deren zwei fahren, würde nicht über alle Maßen ich mich grämen. Seiner Gegenwart bin ich lange schon überdrüssig. Ich habe wahrlich genug von den grauenerregenden Prophezeiungen, die er ausstreut, von all seinen Verleumdungen gegen mich, seinen empörenden Geschichten und dem frömmelnden Ausdruck auf seinem Gesicht. Soll er doch, in Gottes Namen, zu diesem Sanatorium reisen, in den Schwefelquellen baden und uns auch ein wenig Ruhe verschaffen.
Doch nichts von alledem sagte ich ihr, denn es obliegt nun einmal der Mutter, Belange von solcher Natur nach eigenem Gutdünken zu entscheiden.
13. Februar 1896, auf dem Gute der Rajanis
Die Araberin hat noch einige Erkundigungen über das Sanatorium eingeholt. Ein behaglicher Ort ist dies, der alle Gebrechen und Beschwerden vertreibt.
So hat eine Frau aus Jaffa ihren Sohn dorthin geschickt, der an Mondsucht litt und im Schlafe wandelte. Nicht lange und er ward geheilt und ist heut ein erfolgreicher Kaufmann und Betreiber eines Süßwarenstandes auf dem Markte der Araber. Eine andere Frau wiederum verbrachte ihre Schwiegermutter in nämliches Sanatorium, das allen Geiz und alle Herrschsucht der Greisin zu heilen vermochte. Alle Welt sprach Afifa voll des Lobes von dem Wasser der heißen Quellen und seinen vielen Vorzügen, die dem Menschen verborgen, da in dem Auge unsichtbaren Kräften sie begründet, welche dem Körper und der Seele Gleichgewicht und Austariertheit zurückgeben.
Ja, mehr noch, die Quellen enthalten Gase und Dämpfe aus dem Bauch der Erde, deren Geruch gleich dem eines gekochten Eies und deren wohltuende Eigenschaft allgemein bekannt, die Flüssigkeiten der Galle zu durchmischen und Ruhe und Ausgeglichenheit über die gereizte Seele zu bringen.
Auch erfuhr Afifa, dass die größten Fürsten und Adeligen Europas, ja sogar der Kaiser, seine Majestät Franz Josef, es sich zur Gewohnheit gemacht, zu ebendiesem Behufe regelmäßig die Heilbäder von Baden-Baden aufzusuchen, die den Heilquellen von Tiberias durchaus ähnlich.
16. Februar 1896, auf dem Gute der Rajanis
Heut endlich haben über die nämliche Angelegenheit wir gesprochen. Die Araberin lächelte ein trauriges, stilles Lächeln und sagte: «Jacques, in mir ist eine Entscheidung gereift.»
«Und welcher Natur ist diese Entscheidung?», fragte ich.
Sie sagte: «Ich muss Salach zu den Heilquellen schicken. Denn mein Herz sagt mir, dass alle Nöte, die meinen Sohn befallen haben, allein aus der übermäßigen Nähe zu seiner Mutter rühren und aus der übergroßen Ferne, in der er sich zu seinem Vater und zu anderen Männern befunden. Etwas Fundamentales ist in ihm verdorben, und dieses bedarf einer Behandlung auf dem Wege, wie die Ärzte ihn verordnet.»
Mein Herz hob vor Mitleid und Liebe sich für diese Frau, ob ihres Mutes und ihrer Entschlossenheit.
«Wie dem auch sei», fuhr sie fort, «ich muss das Einverständnis des Jungen einholen. Ich werde gleich gehen und ihm gut zureden, unter vielen Tränen, Umarmungen und Küssen, doch in dem festen Wissen, dies ist der beste Ratschlag, und ein anderer findet sich nicht.»
«Ich stimme dir zu», sagte ich.
Endlich hat der böse Engel uns heute besucht, und mit seiner Ankunft in unserem Haus setzte sogleich emsiges Treiben ein, Amina lief, die Zitronen auszupressen und Melasse und Zuckerwasser hinzuzufügen, gab zwei Gläser mir in die Hand, und gemeinsam öffneten wir das gut verschlossene Einmachglas, aus dem sogleich der bittere Geruch des Oleanders aufstieg, und siegab ein wenig davon in eines der Gläser, ehe gemeinsam wir alles mit dem Getränk aufgossen, das sie zubereitet, bis die Tropfen des Giftes vermischt mit den ausgepressten
Weitere Kostenlose Bücher