Das Haus Der Schwestern
er auf ihr herum?
»Ich glaube, ich habe meine Sache dort ziemlich gut gemacht«, erklärte sie kühl, »und es war keine leichte Arbeit. Die Soldaten sind mehr oder weniger in ihre Einzelteile zerlegt, wenn sie dort ankommen.«
»Ich weiß. Ich habe den Krieg auch erlebt. Ich kann mir schon denken, daß du gut warst. Knochenhart, wie du bist, kannst du sicher zupacken, wo andere erst einmal ohnmächtig würden.«
Sie preßte die Lippen aufeinander.» Ich kann auch wieder gehen, wenn du nur streiten willst.«
John zuckte die Schultern. »Du kannst tun, was du möchtest.«
Sie zögerte; am liebsten hätte sie das Zimmer verlassen und die Tür hinter sich zugeschmettert. Aber dann dachte sie an George, an seine dumpfe Verzweiflung. Er war ein anderer geworden, und John ebenfalls. George versank in seinen Depressionen, John rettete sich offenbar in Wut und Angriffslust. Wen der Krieg einmal in seinen Klauen hatte, an dem riß und zerrte er, lud seinem Gedächtnis Bilder unfaßbaren Grauens auf, nahm ihm Gesundheit, Ruhe und Lebensfreude und warf ihn dann in eine Ecke, wo er zusehen mußte, wie er wieder auf die Beine kam.
Ich muß Geduld mit ihm haben. Er hat Schlimmes hinter sich. Wie George. Mit dem war es natürlich leichter, aber John verdient ebensoviel Rücksichtnahme.
So bezwang sie ihren Impuls, davonzustürzen, kam statt dessen ganz ins Zimmer herein und schloß leise die Tür hinter sich.
»John«, sagte sie vorsichtig, »es war schlimm, nicht?«
»Schlimm? Ja, das war es wohl. Aber nicht für mich. Ich lebe ja noch. Der Junge aber ...«
Der andere Soldat, den er mitgenommen hatte. Er war nicht zurückgekehrt.
»Bist du sicher, daß er tot ist?«
»Tot oder gefangen, was weiß ich. Er ist knapp neunzehn Jahre alt.«
»John ...«
»Es war meine Idee, ihn an diesem Tag mitzunehmen«, sagte John. In seinen Augen, das sah Frances, brannten Tränen, die er nicht weinen konnte. »Er bettelte und drängte immerzu. Er wollte etwas Besonderes tun, etwas Abenteuerliches. Und so schlug ich ihn als meinen Begleiter vor. Er war begeistert.«
»Du hast getan, was er wollte.«
Johns Hände krampften sich um die Armlehnen seines Stuhls. »Ich hätte wissen müssen, daß er nicht die Nerven hatte. Er war von einem brennenden Idealismus erfüllt, aber im Grunde war er ein Kind. Ich weiß bis heute nicht, wie wir so in die Irre gehen konnten. Wir waren weit in deutsches Gebiet vorgedrungen. Ein Wunder, daß wir nicht von einer Granate zerfetzt oder von den Deutschen abgeknallt wurden. Mit meinem Kompaß hat etwas nicht gestimmt. Wir haben uns völlig verlaufen.«
»Dafür kannst du doch aber nichts.«
»Ich war der Ältere. Ich hatte die Verantwortung. Ich hätte ihn erst gar nicht mitnehmen sollen. Aber schon gar nicht hätte ich ...«
»Was? «
John sah sie nicht an. »Ich habe ihn im Stich gelassen. Um mein verdammtes, erbärmliches Leben zu retten, habe ich ihn im Stich gelassen.«
Sie trat näher an ihn heran, legte ihm eine Hand auf die Schulter. »Das glaube ich nicht.«
John lachte auf, es klang bitter. »Du glaubst es nicht? Natürlich nicht, du würdest ja gern für den Rest deines Lebens mit dem Heldenbild herumlaufen, das du dir von mir gemacht hast. Leider muß ich dich enttäuschen. Ich bin nicht der wunderbare Mann, den du in mir sehen willst.«
»Wer sagt dir, daß ich je einen wunderbaren Mann in dir sehen wollte?« Sie lächelte, aber er erwiderte ihr Lächeln nicht. Sachlich setzte sie hinzu: »Was ist passiert?«
»Als uns klar wurde, in welcher Situation wir uns befanden, hat Simon —so hieß er —die Nerven verloren. Er geriet in Panik. Er war buchstäblich nicht mehr in der Lage, einen Schritt zu tun. Überall witterte er Granaten oder Soldaten, die schießen würden. Er kauerte sich auf den Boden und weinte wie ein kleines Kind.«
»Und was tatest du?«
»Ich redete auf ihn ein. Ich sagte, ich würde uns zurückbringen. Ich sagte, wir hätten eine Chance. Natürlich war ich nicht sicher, im Gegenteil, ich hatte Angst und sah nur eine ganz geringe Hoffnung für uns. Aber ich wußte, wir hatten keine Wahl. Wir mußten es versuchen.«
»Aber du konntest ihn nicht überreden, mitzukommen.«
John schüttelte den Kopf. »Er war in Panik. Erstarrt vor Angst. Er wollte dort sitzen bleiben. Er könne sich nicht bewegen, sagte er. Ihn hatte aller Mut verlassen.«
Leise sagte Frances: »Du gingst ohne ihn weg.«
»Ja. Ich sah keine andere Möglichkeit mehr. Ich konnte ihn nicht einmal
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