Das Haus Der Schwestern
einen schnellen Friedensschluß zu demonstrieren. Es gab Turbulenzen jenseits des Kanals, soviel erfuhr man sogar in St. Ladune. Ansonsten ... vielleicht lag es am Nebel.
Zuallererst hätte Frances über diese Wochen gesagt: »Es war wie auf einer Insel. Um uns herum herrschten Tod und Gewalt. Nichts davon erreichte uns. Wir hatten ein kleines Stück Zeit geschenkt bekommen, das außerhalb der Wirklichkeit lag. Wir waren uns der kurzen Frist bewußt, die uns blieb. Aber wir waren zu weit weg, um über das nachzudenken, was danach kommen würde.«
Manchmal jedoch fragte sich Frances, wie wohl Ehebruch mit dem Mann der eigenen Schwester bestraft wurde. Sie wußte nicht genau, woher eine solche Strafe kommen sollte, denn ihr Glaube an Gott oder andere himmlische Mächte stand auf schwachen Füßen. Doch obwohl sie im anglikanischen Glauben der englischen Staatskirche erzogen worden war, hatten ihre katholische Mutter und Großmutter sie natürlich geprägt, und Begriffe wie »Fegefeuer« und »Absolution« hatten immer eine Rolle gespielt in ihrem Bewußtsein. Sie hatte es nie gewagt, dies rigoros als Unsinn abzutun.
Nun dachte sie, daß sie, wenn in all dem etwas Wahres lag, kaum auf Vergebung hoffen durfte und vermutlich eine ganze Weile in der Hölle würde schmoren müssen. Manchmal betete sie hastig ein paar Ave Maria und Vaterunser, so wie es Kate mit ihrem Rosenkranz getan hatte; aber sie ahnte, daß dies wenig Wirkung haben dürfte, da sie nicht wirklich bereute, sondern nur Angst vor Vergeltung hatte. Sowohl nach göttlichem wie nach weltlichem Recht beging sie zweifellos eine große Sünde.
Es hätte alles einfacher gemacht, wenn sie sich irgendwo in den Dünen am Meer hätten lieben können; sie hätten sich dann eingeredet, von Leiderischaft überwältigt worden zu sein, und so der Angelegenheit einen Hauch von Unschuld zurückgegeben. Aber das Wetter verbot diesen Ausweg. Also gingen sie in die kleine Kammer bei Véronique, und das machte das Zusammensein zu einem vorsätzlichen und geplanten Akt, machte es häßlicher und verdorbener. Véronique legte ihnen keinerlei Steine in den Weg, obwohl Frances ihr gegenüber, durch den Whisky unvorsichtig geworden, die Version von dem »Verlobten« aufgegeben hatte.
»Wer ist er denn dann?« fragte Véronique.
»Der Mann meiner Schwester«, sagte Frances.
»Oh...«, machte Véronique gedehnt, und ein Glitzern in ihren Augen verriet, daß sie größten Gefallen an Geschichten dieser Art fand.
Ihre Tage nahmen stets den gleichen Ablauf: Frances holte John am Vormittag im Sanatorium ab, und dann gingen sie Stunde um Stunde spazieren, ganz gleich, wie kalt, neblig oder verregnet es war. In der frühen, winterlichen Dämmerung der Nachmittagsstunden kehrten sie in Véroniques Haus zurück, stiegen in Frances’ Zimmer hinauf, zogen sich ihre nassen Kleider aus und gingen ins Bett.
John war ein guter Liebhaber, wie sich Frances das schon gedacht hatte; es war ganz anders mit ihm als mit dem armen, unerfahrenen Phillip: aggressiver, intensiver und dann wieder unerwartet warm und zärtlich. Die sprachlose, immer gleiche Routine aber, mit der sie ins Haus, aus den Kleidern, ins Bett kamen, hatte den Akt ritualisiert und auf eine eigenartige Weise seelenlos gemacht. Sie liebten einander ohne jene Gefühle, von denen Frances gedacht hatte, sie gehörten unabdingbar dazu.
John war monatelang an der Front gewesen und hatte ein traumatisches Erlebnis gehabt, er schien außerstande, ein tiefer gehendes Gefühl zu entwickeln und zu zeigen. Und auch Frances wußte nur zu gut, daß es nicht Lust und Liebe allein waren, die sie trieben: Vor allem anderen suchte sie Heilung zu finden für jene Wunde, die unablässig brannte und schmerzte seit jenem Sommertag fünf Jahre zuvor, da sie auf Daleview eingetroffen war und John und Victoria als Brautpaar angetroffen hatte.
Tatsächlich fand sie Linderung in Johns Umarmungen, in seinem heißen, schnellen Atem neben ihrem Gesicht, in seinen Küssen, die salzig schmeckten vom feinen Sprühen der Gischt am Meer. Sie begriff, daß die Liebe viele Motive, viele Wege kennt. Und manchmal, in ganz seltenen, verzauberten Augenblicken, sah sie wieder das Mädchen und den Jungen, die Hand in Hand über eine Wiese liefen und entschlossen waren, nie voneinander zu lassen.
Das Ende kam während der letzten Novembertage. Draußen vor dem Fenster wirbelten die ersten Schneeflocken des Jahres durch die Luft. John und Frances lagen dicht
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