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Das Haus Der Schwestern

Das Haus Der Schwestern

Titel: Das Haus Der Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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John Leigh. Durch meinen Mann kenne ich ihn aber und weiß, daß er verheiratet ist.«
    Frances erwiderte nichts, hielt Dianes forschendem Blick unbeweglich stand.
    »Ach so«, sagte Diane schließlich, einen verächtlichen Unterton in der Stimme.
    Jetzt glaubt sie, ich bin John Leighs Verhältnis, dachte Frances, aber sie sah keine Veranlassung, sich vor Diane zu rechtfertigen und die Angelegenheit richtigzustellen.
    Immerhin bewahrte Diane Stillschweigen, und Frances galt weiterhin als Johns Verlobte. Jetzt erwies es sich als vorteilhaft, daß sie in den letzten Wochen das Vertrauen und die Anerkennung von Ärzten und Schwestern gewonnen hatte. Normalerweise hätte sie sich als Zivilperson überhaupt nicht so lange unmittelbar hinter der Front aufhalten dürfen. Aber im Lazarett brauchten sie jede helfende Hand, und Frances hatte bewiesen, daß sie hart arbeiten konnte.
    »Bleiben Sie nur hier, bis Sie Nachricht von Ihrem Verlobten haben«, sagte die Oberschwester, und Frances konnte wenigstens in dieser Hinsicht erst einmal aufatmen.
    Das Wetter, bislang sonnig und trocken, war umgeschwenkt; es regnete viel, die Luft war kalt, morgens hing der Nebel in undurchdringlich dicken Schwaden tief über dem Land. Die Front war wieder erstarrt, der kurze Vorstoß der Engländer hatte nicht zu dauerhaftem Erfolg geführt, und sie hatten unter hohen Verlusten tatsächlich nur wenige Fußbreit Boden gewonnen. Unter dem strömenden Regen verwandelten sich die Schützengräben in eisige Schlammlöcher, und in den Stollen kauerten die Männer in kniehohem Wasser. War der Sommer schon schlimm gewesen, so verschärfte sich die Situation nun noch mehr. Kälte und Nässe gaben den ohnehin zermürbten Soldaten den Rest. Die Ruhr grassierte, Läuse und Flöhe trieben manchen fast mehr zum Wahnsinn als der andauernde Granatbeschuß. Im Lazarett stapelten sich förmlich die Verwundeten, und bei wem nur das geringste Anzeichen von Besserung zu entdecken war, der mußte sein Lager im Inneren der Scheune räumen und draußen unter den notdürftig befestigten Zeltplanen biwakieren. Hier war der Boden so naß, die Luft so kalt, daß man froh sein konnte, wenn man ohne Lungenentzündung davonkam.
    Frances arbeitete viel, um sich abzulenken; aber trotz ihrer ständigen körperlichen Erschöpfung war sie so nervös, daß sie nachts kaum Schlaf fand. Immerzu sah sie John vor sich, sah, wie ihn eine Mine zerriß, wie ihn Gewehrschüsse niederstreckten. War sie nicht verrückt, ernsthaft zu hoffen, er sei noch am Leben?
    Ihre Unruhe machte sie reizbar; jeder behandelte sie mit Vorsicht, weil sie so rasch explodierte. Einmal hörte sie, wie die Oberschwester zu einer ihrer Mitarbeiterinnen sagte: »Sie ist einfach kein netter Mensch, diese Miss Gray. Hast du mal ihre Augen gesehen? Völlig kalt. Ich werde aus ihr nicht klug. Aber sie ist ungeheuer tüchtig, das muß man ihr lassen. Manchmal wüßte ich nicht, was ich ohne sie anfangen sollte.«
    Frances gewann nicht eine einzige Freundin unter den Schwestern, aber das war ihr gleich. Mit Diane verstand sie sich noch am besten, wenngleich diese ihre Beziehung zu einem verheirateten Mann mißbilligte. Aber Diane hatte die gleiche unsentimentale, praktische Art wie Frances, und auf irgendeine Weise zollten sie einander einen gewissen Respekt.
    Diane hatte ihren Mann unterrichtet, daß sie über jede Neuigkeit, John Leigh betreffend, unterrichtet werden wollte. Am 27. Oktober erhielt sie ein Telegramm: John hatte sich tatsächlich mehr als zwei Wochen lang auf feindlichem Gebiet versteckt halten können, und er hatte sich schließlich wieder zu den Engländern durchgeschlagen. Er hatte sich schwere Unterkühlungen zugezogen und war halb verhungert, aber er lebte. In einem Krankenhaus nahe Le Havre erholte er sich von den Strapazen.

    Dieses Krankenhaus ließ sich in nichts vergleichen mit dem Lazarett, in dem Frances gearbeitet hatte. Es hatte keine Ähnlichkeit mit jener zur Krankenstation umfunktionierten Scheune auf einem Acker gleich hinter der Front, wo die ganze Welt getaucht schien in Blut, zerfetzte Gliedmaßen, Schreien und Stöhnen, in Rauch und Feuer und das unablässige Dröhnen der Artillerie. Dort hatten sie die Menschen geliefert bekommen, wie sie aus den Schützengräben gezogen wurden, so zerschossen, so kaputt, so unkenntlich, wie sie eben waren. Die einfachsten Hygienevorschriften waren oft nicht einzuhalten gewesen, aber es hatte sich auch niemand mehr darum geschert, weil man meist

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